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Description

Zwei Gedichte von Tucholsky - von der Wiege bis zur Bahre. Es war an der Zeit, diesem umtriebigen Dichter auch hier einen Platz zu geben und zu zeigen, dass er und seine Texte immer noch heutig sind. 

An das Baby



Alle stehn um dich herum:

Photograph und Mutti

und ein Kasten, schwarz und stumm,

Felix, Tante Putti …

Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,

fröhlich quietscht ein Gummihund.

    „Baby, lach mal!“ ruft Mama.

    „Guck“, ruft Tante, „eiala!“

Aber du, mein kleiner Mann,

siehst dir die Gesellschaft an …

Na, und dann – was meinste?

 Weinste.



Später stehn um dich herum

Vaterland und Fahnen;

Kirche, Ministerium,

Welsche und Germanen.

    Jeder stiert nur unverwandt

    auf das eigne kleine Land.

    Jeder kräht auf seinem Mist,

weiß genau, was Wahrheit ist.

Aber du, mein guter Mann,

siehst dir die Gesellschaft an …

Na, und dann – was machste?

 Lachste.

Mutterns Hände

Hast uns Stulln jeschnitten

un Kaffe jekocht

    un de Töppe rübajeschohm –

un jewischt und jenäht

un jemacht und jedreht ...

alles mit deine Hände.



Hast de Milch zujedeckt,

uns Bobongs zujesteckt

    un Zeitungen ausjetragen –

hast die Hemden jezählt

und Kartoffeln jeschält ...

    alles mit deine Hände.



Hast uns manches Mal

bei jroßen Schkandal

auch n Katzenkopp jejeben.

Hast uns hochjebracht.

Wir wahn Sticker acht,

sechse sind noch am Leben ...

    Alles mit deine Hände.

Heiß warn se un kalt.

Nu sind se alt.

    Nu bist du bald am Ende.

Da stehn wa nu hier,

und denn komm wir bei dir

und streicheln deine Hände.