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"Der bedeutendste unbekannte Dichter des 20. Jahrhunderts" - so beschreibt mein erster Gast, Matthias Richter, den Autor Rudolf Borchardt. In dieser Folge geht es um das widersprüchliche Leben und Schaffen dieses Dichters und um ein Liebesgedicht, das Vergänglichkeit, Sehnsucht und das existenziell-kindliche Verlangen nach dem Stillstehen der Zeit thematisiert.

IX. Sie sagt im Gehen

Gedicht von Rudolf Borchardt

Nur dort die Wiese noch,

 Dahinter den Steg!

Lieber Himmel, daure doch

 Nur aus für einen Weg!



Sagen, was mich drängt, zu gehen

 Noch zu gehn, ist bald geschehen:

Wir gehn Hand in Händen

 Und grade soll sichs enden.



Andre Tage werden sein ?

 Lieber Mond, du wirst sie bringen;

Lieber Wind, nur diesen rein

 Laß zu Ende mir gelingen.



Schütte deine Wolke fern,

 Lieber Wind, verzieh!

Für Lupin und für Luzern

 Brauchts Regen dort wie hie,



Aber dort dauerts,

 — Scheints oder schauerts —

Weil alles hier zu Ende ist.

 Lieber Himmel, gönn die Frist!



Liebe Wolke, regne nicht,

 Laß scheinen, laß scheinen.

Laß dem Abende sein Licht,

 Wir haben nur den einen,



Einen einzigen ganz und gar ?

 — Verhalte den Flug! —

Atemzug, Atemzug,

 Daure mir ein Jahr!