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In dieser Folge werden drei 'Frühlingsgedichte' von Goethe, Möricke und Dauthendey vorgestellt und besprochen, von denen zwei Texte sehr populär und der dritte etwas unbekannter ist. Neben der Frage nach den Gründen für die Popularität werden auch vergleichende Untersuchungen angestellt. 

"Osterspaziergang" (Goethe)

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

Im Tale grünet Hoffnungsglück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dort her sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur.

Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Überall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlts im Revier,

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurück zu sehen!

Aus dem hohlen finstern Tor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden:

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluß in Breit und Länge

So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen,

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Die Amseln haben Sonne getrunken (Dauthendey)

Die Amseln haben Sonne getrunken,

Aus allen Gärten strahlen die Lieder,

In allen Herzen nisten die Amseln,

Und alle Herzen werden zu Gärten

Und blühen wieder.

Nun wachsen der Erde die großen Flügel

Und allen Träumen neues Gefieder,

Alle Menschen werden wie Vögel

Und bauen Nester im Blauen.

Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge

Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,

In allen Seelen badet die Sonne,

Alle Wasser stehen in Flammen,

Frühling bringt Wasser und Feuer

Liebend zusammen.

Er ist's (Möricke)

Frühling läßt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

- Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's!

Dich hab' ich vernommen!