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Description

In dieser Folge wird zum einen eine neue Lyrikanthologie vorgestellt, die sich mit Gedichten von und über Frauen beschäftigt und zum anderen ein - laut dieser Anthologie - als besonders kanonisch geltender Text von Caroline von Günderode. "Die eine Klage" befasst sich mit einer existenziellen Erfahrung, die ein liebender Mensch machen kann - und die so mindestens seit der Antike thematisiert wird. 

Die eine Klage

Wer die tiefste aller Wunden

Hat in Geist und Sinn empfunden

Bittrer Trennung Schmerz;

Wer geliebt was er verloren,

Lassen muß was er erkoren,

Das geliebte Herz,

Der versteht in Lust die Tränen

Und der Liebe ewig Sehnen

Eins in Zwei zu sein,

Eins im andern sich zu finden,

Daß der Zweiheit Grenzen schwinden

Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen

Konnt' ein Wesen liebgewinnen

O! den tröstet's nicht

Daß für Freuden, die verloren,

Neue werden neu geboren:

Jene sind's doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,

Dieses Nehmen und dies Geben,

Wort und Sinn und Blick,

Dieses Suchen und dies Finden,

Dieses Denken und Empfinden

Gibt kein Gott zurück.