Die Unfähigkeit – oder eher Unwilligkeit – des menschlichen Verstandes, die Vergangenheit fahren zu lassen, wird besonders anschaulich in der Geschichte von den zwei Zenmönchen Tanzan und Ekido beschrieben. Sie waren einmal auf einer Landstraße unterwegs, die nach schweren Regenfällen völlig aufgeweicht war. In der Nähe eines Dorfes begegneten sie einer jungen Frau, die die Straße überqueren wollte, aber der Schlamm war so tief, dass er ihren Seidenkimono verdorben hätte. Tanzan hob sie sofort auf und trug sie auf die andere Seite.
Danach gingen die Mönche schweigend weiter. Fünf Stunden später, als sie sich dem Tempel näherten, in dem sie logierten, konnte Ekido sich nicht länger beherrschen. »Wie konntest du nur die Frau über die Straße tragen«, sagte er. »Wir Mönche dürfen so etwas doch nicht tun!«
»Ich habe die Frau vor Stunden abgesetzt«, sagte Tanzan. »Trägst du sie noch immer?«
Wenn du dir einmal vorstellst, wie das Leben für jemanden wäre, der die ganze Zeit über wie Ekido lebte und aus Unfähigkeit oder Unwillen, sich innerlich von einer Situation zu lösen, immer mehr »Zeug« in seinem Innern anhäufte, bekämst du einen Eindruck davon, wie das Leben für die Mehrzahl der Menschen auf dieser Erde aussieht, wie[…]“
Auszug aus: Eckhart Tolle. „Eine neue Erde: Bewusstseinssprung anstelle von Selbstzerstörung.“ iBooks.