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drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind

kau die an der kruste hier muskeln an, nimm“

So heißt es in Dagmara Kraus’ jüngstem Gedichtband liedvoll, deutschyzno, der 2021 bei kookbooks erschienen ist.

liedvoll, deutschyzno moja

1



millionen flüchtige wörter stehen an

der grenze zu diesem gedicht

die beine in den bauch sich

schlange an der grenze

dunkle wörter, dunkle fremde

suchen nach zuflucht, wollen hier wohnen

verjaschmakt, betschadort, da warten

mummen von jenseits der pole

es sind welche von ungarn gekommen

zupełnie niedeutschałe słowa

drängen sich hier in die futura

ręce błagają, bebeten die grenzen

deine, deutschyzno moja



2



aber was soll ein gedicht mit den millionen

flüchtigen wörtern nur anfangen



es könnte mit ihnen kickern gehen

schlägts kickern vor

sie einladen zu bier, püree und kohlrouladen

oder mal ne reise machen an ein schönes wort

und ihnen die gegend zeigen, gegend



es könnte millionen wörter einfach schweigen

und müsste jetzt nicht gründeln, mörtel, münze

wrack und wub erleiden, schlackern, lecker

mords- und mergel - wiesz

es könnte wieder flippern wie am rastplatz

weil die zeit lang wird

und mit der tinka auffe kirmes gehn

sich in die zukunft sehen lassen

vom pinken clafoutisschafott im pelz



es könnte schützenfest und adlerschuss verpassen

und an der lippe laufen, wo die mimik hüpft

dann am frühen winkelwasser

in schnöden reimen kurz verschnaufen



auch könntes doch ins olle haus

das haus am halben mond 1iehen

und dem fallmann hin und wieder

den fadengang von buche andiktieren

(er soll ihn immer mit zwei fingern nachfahren)



dabei könntes aus dem kickern 'skern

und all den kiciuśkitsch entfernen

und stattdessen andere wörter weiden

vielleicht fremde wörter heimen

raffig, diese flüchtigen, mehrbarwigen

die völkerball in föderalen hallen spielen

- aber millionen



abermillionen




doch bleibts bloß ein kern am kitsch

beim kern am kitsch



3



abgeschoben ausgespuckt

da ist etwas kleinstes blaurosa

gepuckt, wie ein taubenschluck

leise weints mitten im pulk



wo sind denn die aus dem morgenland

die drei worte mit den gaben

nix myrrhe hier

her mit dem schwarz-rot-gold



wörter aus dem buch der könige

hocken im containerdorf: umfwörter

aus saba, noch milchschorf im haar

labern babel

Über diese Sprachen haben wir gesprochen, über das Anfangen, über Lektüren und wir haben gesprochen über den Zusammenhang von Übersetzen und Schreiben wir sind bei Emilie Cioran gelandet, über den Dagmara Kraus einst wissenschaftlich gearbeitet hat, bei den Plansprachen, um die es auch schon in der ersten Folge dieses Podcasts, im Gespräch mit Clemens Setz ging.

Wir sind den Verfahren nachgegangen, mit denen Dagmara Kraus schreibt, dem Material, dem flüsternd lauten Schreiben.

Dagmara Kraus hat Komparatistik und Kunstgeschichte in Leipzig, Berlin und Paris studiert sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2012 veröffentlichte sie bei kookbooks ihren Debütband kummerang. Im selben Jahr erschienen unter dem Titel Wir Seesterne ihre Übersetzungen von Gedichten Miron Białoszewskis. Zahlreiche Lyrikbände und Übersetzungen sind seitdem gefolgt. Seit 2021 ist sie Juniorprofessorin für literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim.