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Description

Wenn du nach Montenegro reist, betrittst du ein Land, das sich wie ein stilles Echo seiner eigenen Geschichte anfühlt. Es ist nicht groß, kaum so groß wie Schleswig-Holstein, aber es trägt in seinen Bergen, an seiner Adriaküste und in seinen vergessenen Orten eine Schwere und Schönheit, die dich als Urban Explorer sofort in ihren Bann ziehen wird. Montenegro ist ein Land der Kontraste: wilde Natur, tief verwurzelte Traditionen und gleichzeitig ein Ort, an dem der Zerfall in mancher Hinsicht mehr erzählt als jedes Museum oder Denkmal.

Du stehst zum ersten Mal vor einem Relikt aus der Zeit Jugoslawiens. Vielleicht ist es ein verlassener Ferienkomplex an der Küste, wie der einstige Eliten-Urlaubsort „Hotel Fjord“ in Kotor, der heute von Unkraut überwuchert und von Meeresluft zerfressen nur noch Schatten seiner selbst ist. Oder es ist ein Monument in Beton gegossen, wie der verlassene Luftwaffenstützpunkt Željava an der Grenze zu Kroatien, von dem ähnliche Objekte auch im montenegrinischen Hinterland zu finden sind. Diese Bauwerke waren einst Symbole für Fortschritt und Macht, heute wirken sie wie Science-Fiction-Ruinen. Du fühlst dich wie ein Zeitreisender, der in eine utopische Vergangenheit blickt, die nie ganz eingelöst wurde.

Die jugoslawische Moderne, mit ihren brutalistischen Bauwerken und monumentalen Skulpturen, ist für dich als Fotografin oder Filmemacherin ein endloses Feld der Inspiration. Die Linienführung, die architektonische Strenge, die oft menschenleeren Kulissen – sie erzählen Geschichten von Ideologie, Verfall und Stille. Es ist fast so, als würde der Beton selbst mit dir sprechen wollen.

Wenn du mit der Kamera durch die zerbrochenen Fenster eines einstigen Sanatoriums steigst oder vorsichtig über den morschen Boden eines leerstehenden Kulturhauses gehst, beginnst du zu verstehen, warum Montenegro so besonders ist für urbane Erkundung. Hier zerfällt die Geschichte nicht einfach – sie lebt weiter im Klang der abblätternden Farbe, im Knistern von Staub unter deinen Schuhen und in der gespenstischen Ruhe, die du nur in einem Ort findest, der vergessen wurde. Für das filmische Arbeiten ergeben sich dadurch großartige Atmosphären. Lange, ruhige Kamerafahrten durch leere Schwimmhallen, das Spiel von Licht und Schatten in verlassenen Fluren oder das Klirren von Glasscherben, das im Nachhall der Berge verloren geht – du kannst in Montenegro mit wenigen Mitteln große Wirkung erzielen.

Doch nicht alles bleibt ewig verloren. Die Aufmerksamkeit auf Lost Places in Montenegro wächst – nicht zuletzt durch Influencer, Reisefotografen und TikTok-Videos, die auf einmal Orte zeigen, die jahrzehntelang niemand betreten hat. Während das für dich als Urbexer*in spannend ist, bringt es auch Risiken mit sich: Zunehmende Vermüllung, Vandalismus und fehlender Respekt vor diesen stillen Denkmälern der Vergangenheit werden zum Problem. Du spürst das Dilemma in dir – du willst entdecken, zeigen und dokumentieren, aber auch bewahren und schützen.

Gleichzeitig gibt es Initiativen, die versuchen, diese Ruinen kulturell zu bewerten und neu zu beleben. Einige verlassene Industrieanlagen oder Hotels sollen in Kunstorte verwandelt werden – Projekte, bei denen urbane Erkundung zur Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft wird. Auch die EU-Förderprogramme zur kulturellen Infrastruktur in den Westbalkanländern spielen eine Rolle. Du könntest dich in deinem Projekt sogar mit solchen Entwicklungen auseinandersetzen – dokumentarisch oder essayistisch.

Montenegro hat noch viele Orte, die nicht auf Instagram zu finden sind. Alte Minen im Norden, sowjetisch anmutende Wohnkomplexe, die langsam leergezogen werden, militärische Sperrgebiete in den Bergen oder Küstenbefestigungen aus der Zeit des Kalten Kriegs – manche von ihnen sind nur über Schotterpisten oder nach langen Wanderungen erreichbar.

Du bist hier nicht einfach Tourist mit Kamera. Du bist Beobachter, Entdecker, Zuhörer.