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Description

Unsere Witwe schmückte sich früher mit Kleinodien und holte sich den ganzen Tag vom Spiegel Rats, um festzustellen, was ihr noch fehlte. Heute spricht sie zuversichtlich: „Wir alle aber schauen mit enthülltem Antlitz wie in einem Spiegel die Herrlichkeit des Herrn und werden umgewandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit wie vom Geiste des Herrn.“ Einst machten ihr die Dienstmädchen das Haar zurecht und zwängten den Scheitel, der doch nichts verbrochen hatte, in gekräuselte Kopfbinden ein. Heute verzichtet sie auf diese Haarpflege und begnügt sich damit, das Haupt zu verhüllen. In jener Zeit waren ihr weichliche Federbetten noch zu hart, kaum konnte sie auf den aufgestapelten Polstern liegen. Jetzt erhebt sie sich eilends zum Gebet, nimmt mit ihrer melodischen Stimme den anderen das Alleluja vorweg und fängt als erste an, ihren Herrn zu loben. Sie kniet sich auf die bloße Erde, und mit reichlichen Tränen reinigt sie ihr Antlitz, das sie einst mit Bleiweiß besudelt hat. Ist sie mit dem Gebet der Psalmen zu Ende, so versagen der müde Nacken und die wankenden Knie den Dienst, aber den vor Müdigkeit zufallenden Augen gönnt der fromme Eifer kaum einige Ruhe. Da sie eine dunkle Tunika trägt, so hat sie jetzt weniger Sorge, sie zu beschmutzen, wenn sie sich auf den Boden kniet, Ihr Schuhwerk ist einfach. Was sie früher für ihre goldgestickten Schuhe ausgab, das verteilt sie jetzt unter die Dürftigen. Weder Gold noch Edelsteine schmücken ihren Gürtel. Er ist aus Wolle und in seiner Einfachheit, jeder Verzierung bar, eher geeignet, die Kleider zusammenzuhalten als sie zu zerreißen.