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Liebe Leserinnen und Leser,

in den vergangenen Tagen ist einmal mehr klar geworden, dass auf das demokratische Europa schwere Zeiten zukommen.

Die Europäische Union steht womöglich vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte, denn sie hat es mit Feinden zutun, die die europäische Integration von innen und von außen vernichten wollen.

So machte US-Präsident Donald Trump in seiner National Security Strategy deutlich, dass die USA in Europa Bewegungen unterstützen und „kultivieren“ wollten, die Widerstand gegen den aktuellen Weg Europas leisten. Außerdem müsse man verhindern, so Trump, dass die NATO als sich ständig ausdehnende Allianz wahrgenommen werde.

Insgesamt ist der Teil zu Europa, der den Titel Promoting European Greatness trägt, voll von Passagen, die subtil (oder nicht so subtil) hervorheben, dass europäische Länder auf ihre nationale und individuelle Identität setzen sollten und weniger auf die europäische Gemeinschaft. So steht in dem Dokument:

Die amerikanische Diplomatie sollte sich weiterhin für echte Demokratie, Meinungsfreiheit und die unverhohlene Würdigung der individuellen Identität und Geschichte der europäischen Nationen einsetzen. Amerika ermutigt seine politischen Verbündeten in Europa, die Wiederbelebung dieses Geistes zu fördern. Der wachsende Einfluss patriotischer europäischer Parteien gibt in der Tat Anlass zu großem Optimismus.

Europa wird herabgewürdigt

Natürlich hat Trump kein echtes Interesse an „European Greatness“. Ebenso hat Trump - wir wir mittlerweile in den USA gesehen haben - auch kein wirkliches Interesse an Meinungsfreiheit, es sei denn, es ist seine eigene Meinung.

Der CDU-Außen- und Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter schickte mir seine Einschätzung zu dem Thema und fand deutliche Worte:

„Europa wird herabwürdigend beschrieben und zum Objekt US-amerikanischer Machtpolitik. Die USA sind also kein Wertepartner mehr, sondern Gegner der bisherigen regelbasierten Ordnung.

Europa läuft Gefahr, Gegenstand von Einflussinteressen zu werden. Das lösen wir nur mit klarer Positionierung und europäischer Koordinierung. Europa muss Smart Power aufbauen, militärische und geoökonomische Stärke entwickeln, um zu vermeiden, Spielball von USA, Russland oder China zu werden. In Teilen sind wir das bereits, wie der 28-Punkte-Plan zeigt.

Auf Deutschland mit seiner Scharnierfunktion und noch vorhandenen ökonomischen Stärke kommt es jetzt besonders an.“

Ebenfalls einen wichtigen Punkt machte Carl Bildt, ehemals Ministerpräsident von Schweden, der trocken bemerkte: „Der einzige Teil der Welt, wo die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA eine Bedrohung gegen die Demokratie sieht, ist anscheinend Europa. Bizarr.“

Und dann ist da noch Elon Musk, der zum Frontalangriff gegen die Europäische Union aufgerufen hat. Nachdem die EU es gewagt hatte, seinem Unternehmen X aufgrund von Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Millionen Euro aufzubrummen, schrieb dieser auf seinem Netzwerk: „Die EU sollte abgeschafft werden und die individuellen Nationen sollten ihre Souveränität zurückbekommen, damit die Regierungen ihre Bürger besser repräsentieren können.“

Das EU-Bußgeld setzt sich aus drei Komponenten zusammen: 45 Millionen Euro entfallen auf die Regelungen zu den Verifizierungshäkchen, 40 Millionen Euro auf den unzureichenden Datenzugang für Forscher und weitere 35 Millionen Euro auf mangelnde Transparenz bei Werbeanzeigen.

Musk ging noch einen Schritt weiter und schrieb, dass man die EU mit dem Nationalsozialismus vergleichen könne und sie deswegen so etwas wie das Vierte Reich sei.

Musks Wut über die EU und seiner Forderung nach deren Abschaffung, wird in den kommenden Wochen diejenigen befeuern, die die EU von innen zerstören wollen.

Dazu gehören Menschen wie Martin Sellner, ein rechtsextremer Aktivist aus Österreich, der die EU als „Freiluftgefängnis für Europäer“ bezeichnete.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Video von Gerald Knaus hinweisen, das wir in der vergangenen Woche in Berlin aufgenommen haben. Ich kann es jedem empfehlen, weil Knaus hier dezidiert die Feinde der europäischen Integration benennt und erklärt, warum wir uns eine neue Strategie überlegen müssen, wie wir gegen diese Feinde ankommen.

Naivität, Geschichtsvergessenheit, Ignoranz

Neben den offensichtlichen Gegnern der EU und der NATO - radikale Kräfte, wie z.B. die AfD - gibt es in Deutschland leider auch erstaunlich viele Menschen, die mit einer ziemlichen Ignoranz auf das Thema EU, NATO und die Ukraine blicken.

So sagte in einer ZDF-Sendung der junge „Politik-Influencer“ Simon David Dressler vor einigen Tagen u.a. diese Sätze:

* „Ich lehne die Wehrpflicht ab. Ich finde, niemand hat dem Staat sein Leben zu geben.“

* „Das ist ja die große Verlogenheit, dass immer so getan wird, als stünde der Russe einen Kilometer vor Berlin.“

* „Ich kann mir nicht so richtig erklären, warum die morgen versuchen sollten, in Deutschland einzumarschieren.“

* „Im absoluten worst case, dass der Russe morgen vor Berlin steht, auch dann würde ich sagen: Wir werden weiter existieren, nur der deutsche Staat wird vielleicht nicht weiter existieren. Aber ich bin ja nicht der deutsche Staat.“

Die Aussagen sind so dermaßen naiv und geschichtsvergessen, dass man doch fast den Eindruck gewinnen könnte, dass der junge Mann hier ganz bewusst provozieren will, um Reichweite zu generieren. Leider funktioniert das in der heutigen Zeit in den sozialen Medien gut.

Trotzdem hat mich gerade der letzte Satz schockiert. Da ist es im Grunde genommen nebensächlich, ob der Influencer ihn nur mit Blick auf Reichweite gesagt hat, oder ihn wirklich so meint. So ein Satz steht für eine Geisteshaltung, die mich zunehmend stört.

Und ich muss es so deutlich sagen: Gerade die Deutschen sollten es wirklich besser wissen.

Zu behaupten, dass „wir weiter existieren werden“, selbst wenn der deutsche Staat womöglich nicht mehr existiert, ist auf mehreren Ebenen eine grob fahrlässige Aussage.

Ich will das erklären.

Nehmen wir den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als Beispiel. Hier wird nämlich klar, dass die Ukraine nur deswegen weiterhin existiert, weil Menschen bereit sind, für ihr Land zu kämpfen. Die Existenz von Staat und dem Individuum kann dabei nicht voneinander getrennt werden. Denn Wladimir Putins ausgewiesenes Ziel ist es ja, die Ukraine als solche zu zerstören und damit auch die Menschen zu vernichten, die weiterhin ukrainisch sein und ihre nationale Identität behalten wollen.

Wenn man die Existenz des Staates und der individuellen Identität voneinander trennen würde - und die Ukrainer z.B. ihren Staat aufgegeben hätten - dann hätten sie längst beides verloren: ihr Land und ihre Identität.

In diesem Kontext habe ich vor einigen Jahren ein Interview mit dem Historiker Eugene Finkel geführt, dessen Aussagen bis heute noch eine Relevanz haben. Er sagte damals:

* „Wir haben natürlich damals schon die politische Rhetorik und Geisteshaltung an der Spitze der russischen Regierung beobachtet, sowie in den russischen Staatsmedien. Vor allem die Propaganda, dass die Ukraine nicht existiert oder dass die Ukraine ‘russifiziert’ werden soll und gleichzeitig jeder vernichtet werden muss, der nicht russisch sein will. Damals begann dieser Diskurs sich zu intensivieren: von der Befreiung von Ukrainern, zum Töten von Ukrainern. Seitdem sind immer mehr Beweise ans Licht gekommen, und zwar nicht von den Medien, sondern auch von hochrangigen Staatsbeamten. Man kann also sagen: Es gibt nun deutlich mehr Beweise dafür, dass es den tatsächlichen Vorsatz gibt, die ukrainische Nation zu zerstören.“

* „Ukrainisch zu sprechen oder jegliche Form einer ukrainischen Identität zu zeigen, barg eine große Gefahr für die Menschen. Es gab und gibt konkrete Ziele, die auf einem ‘Ukrainischsein’ basieren.“

Im Kampf der Ideen

Ich habe meine Zuversicht allerdings nicht verloren. Im Gegenteil. Ab 2026 starten wir ein Europa-Projekt, mit dem wir insbesondere junge Menschen erreichen wollen.

Und ein Satz ist mir am Ende noch wichtig: Ich habe kein Problem damit, wenn Menschen in Deutschland gegen die Wehrpflicht auf die Straße gehen. Das ist ihr gutes Recht. Salman Rushdie sagte in dem Kontext jüngst in einem Interview:

Meine altmodische Ansicht ist, dass die Verteidigung der Meinungsfreiheit dann beginnt, wenn jemand etwas sagt, das Ihnen nicht gefällt.

Womit ich allerdings ein Problem habe - und darüber können wir gerne diskutieren - ist wenn Menschen behaupten, dass man nichts für den Erhalt des Staates oder der Heimat tun müsste. Denn letztlich ist es doch so: Deutschland und das demokratische Europa existieren heute nur deswegen, weil andere mal dafür gekämpft und uns vom Terror befreit haben.

Haben wir das schon vergessen?

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntagabend und einen guten Start in die Woche.

Philipp Sandmann



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