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Liebe Leserinnen und Leser,

die vergangene Woche hat mal wieder eindrücklich unter Beweis gestellt, wie radikal rückwärtsgewandt Trump’sche Politik sein kann. Zwei Meldungen unterstreichen, dass die Republikanische Partei unter US-Präsident Donald Trump einen Feldzug gegen die Wissenschaft und gegen die Rechte von Frauen führt.

So meldete die New York Times am Mittwoch, dass der Bundesstaat Florida plane, jegliche Formen der Impfpflicht abzuschaffen - auch für Schulkinder. Der „Surgeon General“ (Generalarzt) von Florida, der ausgewiesene Impfskeptiker Dr. Joseph A. Ladapo, nannte als Begründung eine wirre Mischung aus Gott und Sklaverei. Seine Worte:

„Wer bin ich, dass ich Ihnen vorschreiben könnte, was Ihr Kind zu sich nehmen soll? Ihr Körper ist ein Geschenk Gottes.“ Er fügte hinzu, dass die Regierung daran arbeiten werde, alle Impfvorschriften „abzuschaffen“. Jede einzelne dieser Vorschriften sei falsch und trieft vor „Verachtung und Sklaverei.“

Gleichzeitig kündigte der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, die Einrichtung einer Kommission an, um den Bundesstaat an die von US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. festgelegten Ziele anzupassen. Die Kommission soll von Casey DeSantis, der Ehefrau des Gouverneurs, geleitet werden.

Gesundheitsminister Kennedy ist ebenfalls ein langjähriger Impf-Skeptiker. Zuletzt feuerte er unabhängige Berater der wichtigen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und ersetzte sie durch ausgewiesene Impf-Kritiker. Auch die Direktorin der CDC hatte Kennedy nach weniger als einem Monat im Amt entlassen.

In Texas arbeitet die Regierung des Bundesstaats wiederum daran, dass bald jeder Ärzte und Vertreiber von Abtreibungspillen verklagen kann, wenn diese an der Lieferung bzw. dem Import der Pillen in den Bundesstaat beteiligt sind.

Wie die Washington Post berichtete, soll der von Abtreibungsgegnern unterstützte Gesetzentwurf es ermöglichen, Privatpersonen, Unternehmen und Einzelpersonen zu verklagen, die Abtreibungspillen herstellen oder an Patientinnen in Texas vertreiben.

Welche Folgen hat diese Politik?

Aber warum über diese Themen spekulieren, wenn man nachfragen kann. Ich hatte die Gelegenheit, zum einen mit einer erfahrenen Epidemiologin aus den USA zu sprechen, die bereits seit über zehn Jahren für die Behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) tätig ist.

Zum anderen konnte ich mit einer angehenden Epidemiologin sprechen, die sich auch auf die Rechte von Frauen und Minderheiten spezialisiert hat. Beide stimmten einem Interview unter der Voraussetzung der Anonymität zu, da sie sonst um ihre Jobs und Karrieren fürchten müssten.

Als Journalist ist es mir wichtig, Ihnen zu sagen, dass beide Personen über eine große Expertise bei dem Thema verfügen. Selbstverständlich versichere ich Ihnen auch, dass beide Personen existieren und sie auf Basis ihrer langjährigen Erfahrungen meine Fragen beantwortet haben. Falls Sie meinen Newsletter als Podcast hören: Ich habe die Antworten meiner Interviewpartner von einer KI-Stimme sprechen lassen.

Die ersten zwei Fragen wurden von der erfahrenen CDC-Expertin beantwortet (Quelle 1). Die dritte Frage wurde sowohl von der CDC-Expertin, als auch von der angehenden Epidemiologin (Quelle 2) beantwortet. Fragen vier und fünf wurden von Quelle 2 beantwortet.

Hier geht es zum Interview:

„Die USA sind in Bezug auf die globale Gesundheitssicherheit völlig handlungsunfähig“

Was ist das Ziel von Gesundheitsminister Kennedy? Welche Auswirkungen wird seine Politik nicht nur auf die CDC, sondern auch auf den US-Gesundheitssektor im Allgemeinen haben?

Kennedy behauptet, dass er die im Vergleich zu anderen OECD-Ländern unverhältnismäßig hohen Raten chronischer Erkrankungen in den Vereinigten Staaten bekämpfen will. Gleichzeitig hat er aber viele der CDC-Zentren, die genau daran gearbeitet haben, aufgelöst.

Er behauptet, dass diese Aufgaben stattdessen von einer neuen AHA-Behörde (Administration for a Healthy America) übernommen werden sollen. Allerdings gibt es weder Mittel für diese Behörde, noch gibt es Pläne, sie ins Leben zu rufen. Wenn diese Behörde jemals zustande kommen soll, dann erst in vielen Jahren, sodass in der Zwischenzeit ein Großteil der Arbeit im Zusammenhang mit der Überwachung chronischer Krankheiten, der Bewertung von Strategien und Programmen zur Informationsgrundlage für Entscheidungsprozesse und der Bereitstellung evidenzbasierter Leitlinien für die amerikanische Öffentlichkeit und Ärzte stark eingeschränkt wird.

Meiner Meinung nach verkauft Kennedy Wunderwaffen, um seine Anhänger von „Make American Healthy Again“ (MAHA) zu beschwichtigen. Er hat viel Lärm darum gemacht, dass Junkfood-Unternehmen Lebensmittelfarbstoffe abschaffen oder Fruktose-Glukosesirup durch Zuckerrohrsirup ersetzen sollen.

Wir Experten für öffentliche Gesundheit wissen jedoch, dass diese kleinen Änderungen keinen messbaren Einfluss auf chronische Krankheiten haben werden, da er nichts unternimmt, um die wirklichen Ursachen anzugehen. Dazu gehören z.B. der eingeschränkte Zugang zu gesunden Lebensmitteln, die steigenden Kosten für gesunde Lebensmittel, der Mangel an Versicherungsschutz und Zugang zu Gesundheitsversorgung (insbesondere unter der ärmeren Bevölkerung auf dem Land) und natürlich auch die generellen sozialen Faktoren, die sich auf chronische Krankheiten auswirken. Kennedy geht mit seiner MAHA-Agenda überhaupt nicht auf diese grundlegenden Probleme ein.

Da er nichts Wirksames unternimmt, um die chronischen Krankheiten zu bekämpfen, hat das alles einen noch negativeren Einfluss auf unsere Fähigkeit, Infektionskrankheiten zu kontrollieren. Er hat nicht nur viele Jahre lang, bevor er Minister wurde, die Impfskepsis im Land geschürt, sondern baut nun auch im Alleingang unsere gesamte Impfstoff-Infrastruktur ab.

Er hat 500 Millionen Dollar für die mRNA-Forschung gestrichen und damit unsere Fähigkeiten, auf die nächste Pandemie zu reagieren, erheblich beeinträchtigt. Er hat angesehene Experten aus den externen Beratungsgremien, die den Regulierungsprozess der FDA (Food and Drug Administration) und den Empfehlungsprozess der CDC beraten, entfernt und durch unqualifizierte Impfgegner ersetzt. Die FDA hat bereits die Zulassung des COVID-19-Impfstoffs für die kommende Saison auf Erwachsene über 65 Jahre und Personen mit Risikofaktoren beschränkt. Anfang dieses Jahres hat Kennedy die COVID-19-Impfempfehlung für Schwangere widerrufen. Er hat sich bei dieser Entscheidung mit niemandem in der CDC beraten und hat bis heute keine Beweise vorgelegt, die diese Entscheidung rechtfertigen würden.

Es ist wichtig zu beachten, dass in den Vereinigten Staaten die meisten Versicherer die Kosten für einen Impfstoff nicht übernehmen, wenn die geimpfte Person nicht zu einer Gruppe gehört, die von der FDA für die Verwendung zugelassen und/oder von der CDC in ihre Empfehlung aufgenommen wurde.

Obwohl Kennedy sowohl bei der Anhörung für seine Bestätigung vor dem Senat vor ein paar Monaten, sowie vor ein paar Tagen erneut unmissverständlich erklärte, dass „jeder, der sich impfen lassen möchte, eine Impfung erhalten kann“, haben seine Maßnahmen den Zugang zu Impfstoffen für Millionen von Menschen, die sich impfen lassen möchten, eingeschränkt.

Noch alarmierender ist, dass für Ende dieses Monats eine ACIP-Sitzung (Advisory Committee on Immunization Practices) geplant ist, bei der nicht nur COVID-19, sondern auch MMR, RSV und Hep-B auf der Tagesordnung stehen – also Impfstoffe, die seit Jahren ganz oben auf der Agenda der Impfgegner stehen. Wenn sie beschließen, die Empfehlungen für Kinder zu streichen, werden die Versicherer diese Impfstoffe nicht mehr übernehmen und Millionen von Familien werden den Zugang dazu verlieren – trotz Kennedys gegenteiliger Versprechen.

Darüber hinaus sind neben den Kürzungen bei der mRNA-Forschung auch die Forschungsgelder des Bundes in nahezu allen Bereichen der Gesundheits- und Biomedizinforschung ernsthaft gefährdet. Labore im ganzen Land haben ihre Forschung bereits eingestellt, Universitäten haben weniger (wenn überhaupt) Plätze für neue Doktoranden – unsere biomedizinische Forschung wird in den kommenden Jahren stark eingeschränkt sein.

Wie gefährlich ist es, dass Florida plant, alle Impfvorschriften aufzuheben? Welche schwerwiegenden Folgen könnte dies haben?

Sehr gefährlich! Nehmen wir das Beispiel Masern. Wir können uns den Masernausbruch im Südwesten der USA in diesem Jahr ansehen, der seinen Ursprung in einer impfkritischen Gemeinde mit geringer Durchimpfungsrate hatte. Bis heute gab es mindestens 1.431 Fälle in 45 Bundesstaaten – der größte Ausbruch seit 1992 – mit 3 Todesfällen, davon zwei unter Kindern.

Masern waren in den USA seit 2000 ausgerottet, obwohl wir jedes Jahr eine geringe Anzahl importierter Fälle verzeichnen. Es ist anzumerken, dass wir in diesem Jahr mehr importierte Fälle (n=137) hatten als in jedem anderen Jahr seit 2000. Wenn sich dieser Trend fortsetzt und es gleichzeitig mehr Gebiete mit geringer Durchimpfungsrate gibt, dann ist eine Katastrophe vorprogrammiert. Insbesondere Florida ist ein wichtiger Einreisepunkt für internationale Reisende in die Vereinigten Staaten.

Interessant an diesem Plan zur Abschaffung der Impfpflicht ist, dass Eltern in Florida seit mehr als einem Jahrzehnt das Recht haben, eine nicht-medizinische Befreiung von der Schulimpfung (z. B. aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen) zu beantragen. Es gibt jedoch eine unbeabsichtigte Folge, an die meiner Meinung nach derzeit viele Menschen nicht denken. In meiner Arbeit stelle ich fest, dass die Impfvorschriften für den Schuleintritt oft eine wichtige Erinnerung für Eltern und Betreuer sind, ihren Kindern die aktuellsten Auffrischungsimpfungen mit DTaP, IPV und MMR (Masern, Mumps und Röteln) zu verabreichen.

Der größte Teil des Impfplans für Kinder ist im Alter von 18 Monaten abgeschlossen, einem Zeitraum, in dem Eltern und Betreuer von ihren Kinderärzten dazu angehalten werden, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen zu vereinbaren, bei denen die ersten Impfdosen verabreicht werden. Nachdem Babys jedoch zwei Jahre alt geworden sind, gibt es nicht mehr viele geplante Routineuntersuchungen oder Impftermine. Diese letzten Auffrischungsimpfungen werden im Alter von 4 bis 6 Jahren empfohlen, und in den dazwischenliegenden Jahren vergessen vielbeschäftigte Eltern das einfach – bis sie ihr Kind in der Schule anmelden.

Ohne die geltenden Vorschriften vermute ich, dass viele Eltern, die eigentlich die Impfung ihres Kindes unterstützen, diese letzten Impfungen versäumen werden. Ich vermute, dass die Durchimpfungsrate für die zweite Dosis MMR um einige Prozentpunkte sinken wird (sie liegt bereits unter 90 Prozent, für die Herdenimmunität gegen Masern sind jedoch 95 Prozent erforderlich), insbesondere wenn die Berichterstattung in den Medien nachlässt und die Eltern beginnen, die zweite Dosis zu vergessen, die für die Steigerung der Wirksamkeit und die Aufrechterhaltung der Immunität so wichtig ist.

Und welche Folgen hat eine veränderte US-Gesundheitspolitik für kleinere Länder mit weniger Geld und weniger Ressourcen?

Quelle 1: Das ist eine sehr wichtige Frage. In den US-Medien habe ich darüber noch nicht viel gehört.

Zunächst einmal waren die Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten der größte Geber von Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich. Ein Großteil dieser Mittel wurde in diesem Jahr bereits an der Quelle gekürzt, weil Behörden wie USAID (das Entwicklungsministerium der USA) komplett aufgelöst wurden. Das hat weitreichende Folgen für die kommenden Jahrzehnte.

Die UNO und die WHO haben sich insbesondere in diesem Jahrzehnt dafür eingesetzt, dass ressourcenärmere Länder beginnen, ihre Finanzierungsmechanismen im Gesundheitsbereich zu diversifizieren, um unabhängiger zu werden. Dies ist jedoch eine komplexe politische und ressourcenbezogene Herausforderung, deren wirksame Umsetzung Zeit erfordern wird. Anstatt den Finanzierungsfluss auf nachhaltige Weise zu verlangsamen, um den Ländern eine Anpassung zu ermöglichen, ist diese US-Regierung mit Blick auf unsere Finanzierungs- und Hilfsmechanismen „mit der Brechstange“ vorgegangen.

Darüber hinaus ist es unseren Forschern im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Bundesebene nicht mehr gestattet, in irgendeiner Form mit der WHO zusammenzuarbeiten, was unsere Fähigkeit, mit anderen Ländern bei wichtigen Aktivitäten wie der Überwachung von Krankheiten und der Reaktion auf Ausbrüche zusammenzuarbeiten, erheblich beeinträchtigt.

Wir sind im Blindflug, wenn es darum geht, die weltweite Ausbreitung verschiedener Infektionskrankheiten zu überwachen. Selbst wenn wir von einem Land alarmiert werden, sind wir aufgrund neu verhängter Reisebeschränkungen und einer Vielzahl neuer Genehmigungsverfahren, die unsere Fähigkeit zu einer schnellen und wirksamen Reaktion beeinträchtigen, weniger in der Lage, auf Anfrage technische Unterstützung im Land zu leisten. Ganz zu schweigen davon, dass wir in diesem Jahr durch Personalabbau Tausende von Experten verloren haben. Selbst wenn ein Team zur Hilfe gerufen wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein weltweit führender Experte, der das Team z.B. noch vor neun Monaten geleitet hätte, nicht mehr da ist. Wir sind in Bezug auf die globale Gesundheitssicherheit völlig handlungsunfähig.

Ich habe bei all diesen Fragen nur die Spitze des Eisbergs angeschnitten. Es gibt noch viel mehr zu sagen über die Millionen von Amerikanern, die mit der Verabschiedung der „Big, Beautiful Bill“ wahrscheinlich ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung verlieren werden. Oder auch das Thema der Deregulierung der Umweltpolitik, die zu mehr Schadstoffen in unserer Luft und unseren Gewässern führen wird.

Angesichts der vielen politischen Maßnahmen, die während dieser Amtszeit in der gesamten Regierung umgesetzt wurden, stehen die Vereinigten Staaten vor einer Zukunft, in der sie ärmer, kränker und weniger gut auf die nächste Pandemie vorbereitet sein werden. Es scheint, als wären Gedanken und Gebete wirklich alles, was wir derzeit haben.

Quelle 2: Die Kürzung der Mittel für USAID wird in den nächsten fünf Jahren schätzungsweise 14.000.000 vermeidbare Todesfälle verursachen, und bisher haben die Kürzungen dieser Mittel bereits zu circa 300.000 Todesfällen geführt.

Krankheiten, die bisher unter Kontrolle waren, werden mit voller Wucht zurückkehren. Menschen mit HIV, die keine Medikamente mehr bekommen, werden wieder krank, Malaria breitet sich aus, wenn keine Moskitonetze mehr verteilt werden, und vermeidbare Epidemien wie Cholera oder Masern breiten sich aus, weil Impfkampagnen komplett eingestellt werden. Reichere Länder können das alles besser abfedern, aber kleinere Nationen haben keine Notvorräte oder Rücklagen für schlechte Zeiten. Fortschritte, die Jahrzehnte gedauert haben, werden rapide zunichte gemacht.

Es geht auch nicht nur um Geld: USAID hat auch Ärzte, Krankenschwestern, Fachkräfte im öffentlichen Gesundheitswesen und Laborpersonal ausgebildet. Sie haben dafür gesorgt, dass Diagnoselabore weiterarbeiten konnten. Ohne diese Unterstützung verlieren Gesundheitssysteme sowohl Personal als auch Instrumente.

Hinzu kommt noch die diplomatische Seite. Jahrzehntelang waren die globalen Gesundheitsprogramme der Vereinigten Staaten nicht nur humanitär, sondern auch eine Form von Soft Power. Das hat Allianzen gestärkt und verschaffte den USA Einfluss in Regionen, in denen China, die EU, Russland oder andere aufstrebende Supermächte nicht so eifrig waren, sich zu engagieren. Kleinere Länder haben keine andere Wahl, als sich nun anderweitig um Unterstützung zu bemühen.

Was früher ein Symbol für die Führungsrolle der USA im globalen Gesundheitswesen war, wird heute von vielen als Rückzug angesehen, was der Glaubwürdigkeit und moralischen Stellung der USA auf der Weltbühne schadet.

Anderes Thema: Texas will es jedem ermöglichen, Ärzte und Händler von Abtreibungspillen zu verklagen. Welche Folgen hat das für die Gesundheit von Frauen?

Der Schritt des Bundesstaates Texas, Privatpersonen die Möglichkeit zu geben, Ärzte und Händler von Abtreibungspillen zu verklagen, ist einfach nur widerwärtig.

Dieser Gesetzentwurf soll bald vom Gouverneur von Texas unterzeichnet werden, der damit das Gesundheitswesen instrumentalisiert. Wir alle wissen, um was für ein Spiel es sich hier handelt. Ein Spiel, bei dem Grundrechte je nach politischer Lage mal gewährt und mal entzogen werden. Und ja, ich gehe davon aus, dass der Oberste Gerichtshof letztendlich zugunsten von Texas entscheiden wird. Er wird sich hinter der Ausrede verstecken, dass „die Bundesstaaten letzten Endes darüber entscheiden“ sollen.

Einer der beunruhigendsten Aspekte des texanischen Gesetzes ist, dass es über territoriale Grenzen hinweg gelten soll. Es erlaubt Texanern - es ermutigt sie sogar - Ärzte, Apotheker und Telemedizin-Anbieter in anderen Bundesstaaten zu verklagen, die Abtreibungspillen an Patientinnen in Texas verschreiben oder versenden. Das bedeutet, dass ein Anbieter in einem Bundesstaat wie Kalifornien, Illinois oder New York, der sich vollständig im Rahmen der Gesetze seines eigenen Staates bewegt, plötzlich in Texas in Gerichtsverfahren verwickelt werden kann, weil die Patientin sich dort medizinisch versorgen ließ.

Texas hat also beschlossen, dass seine Autorität über seine Grenzen hinausreicht, und bestraft Menschen, die in ihren eigenen Bundesstaaten legal medizinische Versorgung leisten. Das ist nicht nur eine Überschreitung der Befugnisse, sondern auch verfassungswidrig.

Diese Taktik sorgt für Chaos und Angst in der medizinischen Community. Ärzte im ganzen Land fragen sich, ob sie durch die Behandlung ihrer Patienten in feindlich gesinnten Bundesstaaten, die Hunderte von Kilometern entfernt liegen, mit Klagen rechnen müssen. Einige Kliniken haben bereits den Zugang zu Telemedizin für Patienten in Texas gesperrt, weil sie die finanziellen und rechtlichen Folgen nicht riskieren können.

Das bedeutet, dass Frauen in Texas noch weiter isoliert werden und nicht nur von lokalen Angeboten abgeschnitten sind, sondern auch von Ärzten, die ihnen aus der Ferne helfen wollen.

Und was bedeutet das alles konkret, z.B. für Abtreibungen?

Es bedeutet weniger sichere Abtreibungen, nicht weniger Abtreibungen. Die Realität ist, dass Abtreibungen nicht aufhören werden. Sie werden nur unsicherer. Frauen werden verbluten, Frauen werden sterben, weil Politiker zu feige sind, sich die tatsächlichen Daten anzusehen. Texas hat offen erklärt, seine eigenen Berichte über die Müttersterblichkeit aus den Jahren 2022 und 2023, die einen Anstieg der Todesfälle unter schwangeren Frauen zeigten, zu ignorieren. Anstatt diese Krise zu beheben, haben sie sich dafür entschieden, sie zu verschärfen.

Ich kenne persönlich Ärzte in Notaufnahmen in Texas, die bereits mit dieser Angst leben. Sie sehen Patientinnen, die Fehlgeburten haben, und wissen genau, welche Behandlung erforderlich ist, aber sie schweigen, weil eine einzige Verschreibung sie ihre Zulassung kosten könnte. Stellen Sie sich vor, Sie wären gezwungen, Patientinnen leiden zu lassen, während Sie zusehen, weil Politiker Ihrem medizinischen Urteilsvermögen Fesseln angelegt haben. Das ist keine Medizin, das ist Kontrolle und Grausamkeit.

Und die Kluft wird immer größer. Wohlhabende Frauen werden ohne Probleme in andere Bundesstaaten reisen, um sich dort behandeln zu lassen. Frauen mit geringerem Einkommen, Frauen in missbräuchlichen Beziehungen und Frauen, die niemanden haben, an den sie sich wenden können, werden jedoch in der Falle sitzen. Sie werden zum Schweigen gebracht. Sie werden gezwungen sein, ihr Leben für eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu riskieren.

Das alles sollte eigentlich niemals Gegenstand einer öffentlichen Debatte sein. Es sollte niemals in den Händen von Gesetzgebern, Kopfgeldjägern oder Gerichten liegen. Diese Entscheidung sollte allein zwischen einer Patientin und ihrem Arzt getroffen werden.

Aber bei dem, was Texas tut, geht es nicht um „Leben“ – es geht um Macht, es geht um Kontrolle, es geht um Religion. Es ist ein direkter Angriff auf die Selbstbestimmung, Sicherheit und Würde von Frauen.

Wenn Sie all diese Entwicklungen betrachten und bewerten: In welche Richtung entwickeln sich die USA derzeit?

Wenn man einen Schritt zurücktritt und sich das ansieht, was derzeit in den Vereinigten Staaten geschieht, dann ist das alles katastrophal. Es geht nicht nur um den Angriff auf das Gesundheitswesen und die öffentliche Gesundheit, sondern auch um das Chaos an den Grenzen, die Grausamkeit und die Migrationspolitik, die Entfremdung langjähriger Verbündeter und den Abbau internationaler Partnerschaften, die Amerika einst zu einer globalen Führungsmacht gemacht haben.

Hinzu kommen die offene Feindseligkeit gegenüber der Wissenschaft, die Verbreitung von Fehlinformationen, die Selbstgefälligkeit der Menschen und Politiker, die eigentlich das Volk vertreten sollten, und die Aushöhlung demokratischer Normen. Man sieht ein Land, das sich an allen Fronten aktiv selbst untergräbt. Das sind keine isolierten politischen Entscheidungen, sondern miteinander verbundene Versäumnisse, die das Bild einer Nation zeichnen, die ihre eigene Glaubwürdigkeit und Stabilität untergräbt.

Die Gesundheit der Bevölkerung ist nur ein Teil dieses größeren Zusammenbruchs, aber ein wichtiger. Die öffentliche Gesundheit funktioniert am besten, wenn die Menschen sich ihrer Existenz oder Wirksamkeit nicht bewusst sind. Die öffentliche Gesundheit betrifft nicht nur Menschen, die an die Wissenschaft „glauben“ – sie betrifft alle. Viren, Müttersterblichkeit und Epidemien fragen nicht nach Politik. Dennoch entscheiden sich die Vereinigten Staaten für eine bestimmte Ideologie einiger weniger, statt für Fakten. Das Land lässt zu, dass Fehlinformationen Gesetze und Politik beeinflussen. Das ist das wirklich Beängstigende daran: Es handelt sich um einen allgemeinen Angriff auf die Wissenschaft und die Wahrheit selbst, und wenn diese einmal verloren sind, beginnen alle anderen Systeme – Bildung, Gesundheitswesen, Wirtschaft, Sicherheit – zu zerfallen.

Dieses Land bewegt sich in Richtung Isolation. Amerika geht nicht vorwärts, sondern rückwärts und zieht sein Volk mit sich. Amerika steht nicht an erster Stelle. Amerika hat nicht nur seine Glaubwürdigkeit verloren, sondern auch seine Seele.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und einen guten Start in die Woche.

Philipp Sandmann



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