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Aliengender: Eine kritische Betrachtung eines unkonventionellen Geschlechtskonzepts

In einer Zeit, in der Geschlechtsidentitäten zunehmend diverser und komplexer werden, stößt man auf Begriffe, die die traditionellen Vorstellungen von Geschlecht herausfordern. Einer dieser Begriffe ist „Aliengender“, der auf Plattformen wie dem Nichtbinär-Wiki (nibi.space) definiert wird. Aliengender beschreibt eine Geschlechtsidentität, die entweder aus einer nicht-menschlichen Perspektive interpretiert wird oder sich auf eine Verbindung zu außerirdischen Konzepten, Ästhetiken oder Kommunikationsweisen bezieht. Dieser Artikel untersucht kritisch, was Aliengender bedeutet, welche kulturellen und sozialen Implikationen es mit sich bringt und warum es sowohl Faszination als auch Kontroverse auslöst.

Definition und Ursprung von Aliengender

Laut dem Nichtbinär-Wiki fällt Aliengender unter den Oberbegriff „Xenogender“, ein Konzept, das Geschlechtsidentitäten umfasst, die sich nicht an binären Kategorien wie männlich oder weiblich orientieren, sondern an anderen, oft unkonventionellen Konzepten wie Tieren, Farben oder, in diesem Fall, außerirdischen Wesen. Aliengender wird in zwei Hauptaspekten definiert:

* Nicht-menschliche Perspektive: Eine Interpretation des eigenen Geschlechts, die nicht auf menschlichen Konzepten von Geschlecht basiert.

* Äußere Perspektive auf Außerirdisches: Eine Identität, die sich mit der Ästhetik, Kommunikation oder dem Konzept von Aliens verbunden fühlt.

Der Begriff „Xenogender“ wurde 2014 auf Tumblr von der Nutzerin Baaphomett geprägt, wie das Nonbinary-Wiki angibt. Aliengender selbst taucht in späteren Diskussionen auf, etwa in der Gender Census von 2020, wo einige Teilnehmende Begriffe wie „alien“ oder „aliengender“ als Teil ihrer Identität angaben. Es ist ein Produkt der Online-Subkulturen, insbesondere in queeren und nichtbinären Communities, die neue Wege suchen, um ihre Identitäten auszudrücken.

Die Faszination von Aliengender

Die Anziehungskraft von Aliengender liegt in seiner radikalen Abkehr von traditionellen Geschlechtsnormen. In einer Gesellschaft, die Geschlecht oft an biologische Merkmale oder soziale Rollen koppelt, bietet Aliengender eine Möglichkeit, sich komplett von diesen Zwängen zu lösen. Es erlaubt Individuen, ihre Identität durch Metaphern und Konzepte zu definieren, die jenseits des Menschlichen liegen. Für manche mag dies eine befreiende Form der Selbstbeschreibung sein, insbesondere für jene, die sich in binären oder auch nichtbinären, aber menschzentrierten Kategorien nicht wiederfinden.

Die Verbindung zu Außerirdischem spiegelt zudem eine kulturelle Faszination wider, die in Science-Fiction-Werken tief verwurzelt ist. Filme wie „Alien“ (1979) oder Serien wie „Star Trek“ haben Aliens oft als Wesen dargestellt, die menschliche Normen, einschließlich Geschlechtskonzepte, transzendieren. In „Star Trek: The Next Generation“ beispielsweise wird die androgyne Spezies der J’naii vorgestellt, die Geschlecht als Konzept ablehnt. Solche Darstellungen könnten als Inspiration für Aliengender dienen, da sie alternative Vorstellungen von Identität und Existenz bieten.

Kritische Perspektiven auf Aliengender

Trotz seiner kreativen und befreienden Aspekte ist Aliengender nicht unumstritten. Kritiker*innen werfen dem Konzept vor, dass es nonbinäre Identitäten auf problematische Weise „entmenschlicht“. In einem Artikel auf cbr.com wird der „Non-Binary Alien Trope“ kritisch beleuchtet: Viele nichtbinäre Charaktere in Science-Fiction sind keine Menschen, sondern Aliens, Roboter oder andere nicht-menschliche Wesen. Dies kann den Eindruck erwecken, dass Nichtbinarität nur außerhalb der menschlichen Erfahrung existieren kann, was die gelebte Realität nichtbinärer Menschen, die biologisch menschlich sind, marginalisiert.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Gefahr der Trivialisierung. Geschlechtsidentität ist für viele Menschen ein tief empfundenes, oft mit Diskriminierung und Kampf verbundenes Thema. Konzepte wie Aliengender, die Geschlecht mit scheinbar abstrakten oder popkulturellen Ideen verbinden, könnten als spielerisch oder sogar respektlos wahrgenommen werden. Insbesondere in konservativen Kreisen wird dies als Argument genutzt, um die Legitimität von nichtbinären Identitäten insgesamt infrage zu stellen. Die Frage stellt sich: Hilft Aliengender dabei, Geschlechtsvielfalt zu normalisieren, oder verstärkt es Stereotype, indem es Nichtbinarität als „außerirdisch“ oder „fremd“ darstellt?

Kulturelle und soziale Implikationen

Aliengender wirft ein Licht auf die Herausforderungen, die mit der Beschreibung von Geschlechtsidentitäten in einer binär geprägten Sprache verbunden sind. Wie das Nonbinary-Wiki betont, entstehen Begriffe wie Xenogender aus einem „lexikalischen Gap“, also der Abwesenheit von Worten, um bestimmte Erfahrungen zu beschreiben. Aliengender ist ein Versuch, diesen Gap zu füllen, indem es Metaphern aus der Science-Fiction nutzt. Doch genau hier liegt auch ein Spannungsfeld: Während einige die Kreativität und Freiheit solcher Begriffe schätzen, könnten andere sie als unzugänglich oder esoterisch empfinden.

Ein weiterer Aspekt ist die kulturelle Aneignung. Begriffe wie Aliengender sind stark in westlichen, internetbasierten Subkulturen verwurzelt. Sie setzen ein gewisses Maß an Zugang zu Popkultur und digitalen Plattformen voraus, was nicht weltweit gegeben ist. Zudem gibt es Parallelen zu Debatten um andere Geschlechtsidentitäten, wie etwa „Two-Spirit“, das auf nibi.space als kulturell spezifisch für indigene Gemeinschaften Nordamerikas beschrieben wird. Ohne kulturelle Sensibilität könnten Konzepte wie Aliengender als unangemessen wahrgenommen werden, wenn sie in Kontexten verwendet werden, die ihre Bedeutung verdrehen.

Repräsentation in der Popkultur

Die Verbindung zwischen Aliengender und Science-Fiction zeigt sich nicht nur in der Inspiration, sondern auch in der Kritik an der Repräsentation nichtbinärer Charaktere. In einem Beitrag auf electricliterature.com wird beklagt, dass nichtbinäre Charaktere in der Science-Fiction oft als Aliens oder Roboter dargestellt werden, was die Botschaft vermitteln könnte, dass Nichtbinarität etwas Nicht-Menschliches ist. Beispiele wie die Aandrisk in Becky Chambers’ „The Long Way to a Small, Angry Planet“ zeigen zwar Geschlechtsfluidität, doch die Abwesenheit nichtbinärer menschlicher Charaktere wird als Mangel empfunden.

Diese Kritik ist relevant, da Aliengender direkt auf solche popkulturellen Narrative anspielt. Es stellt sich die Frage, ob die Identifikation mit außerirdischen Konzepten die Vorstellung verstärkt, dass Nichtbinarität etwas „Fremdes“ ist, oder ob sie vielmehr eine kreative Möglichkeit bietet, Geschlecht jenseits menschlicher Normen zu denken. Die Antwort hängt oft von der individuellen Perspektive ab: Für manche ist Aliengender ein Ausdruck von Freiheit, für andere eine problematische Metapher.

Aliengender ist ein faszinierendes, aber kontroverses Konzept, das die Grenzen traditioneller Geschlechtsvorstellungen sprengt. Es bietet Raum für kreative Selbstdefinition, indem es sich auf außerirdische Ästhetiken und Perspektiven stützt, doch es birgt auch das Risiko, Nichtbinarität als etwas Nicht-Menschliches darzustellen. In einer Gesellschaft, die noch immer darum ringt, Geschlechtsvielfalt anzuerkennen, ist Aliengender ein Beispiel für die Suche nach neuen Wegen, Identität zu artikulieren. Gleichzeitig fordert es uns auf, kritisch zu reflektieren, wie solche Konzepte in verschiedenen Kontexten wahrgenommen werden und welche Botschaften sie vermitteln.

Die Debatte um Aliengender zeigt, dass Geschlechtsidentität ein dynamisches und vielschichtiges Feld ist, das sowohl persönliche Erfahrungen als auch kulturelle Narrative umfasst. Ob Aliengender als befreiend oder problematisch wahrgenommen wird, hängt letztlich von der individuellen Perspektive und dem gesellschaftlichen Kontext ab. Eines ist jedoch klar: Begriffe wie Aliengender zwingen uns, über die Grenzen von Sprache, Kultur und Identität nachzudenken – und das ist ein Gespräch, das weitergeführt werden muss.

Quellen:

* Nichtbinär-Wiki (nibi.space)

* Nonbinary-Wiki

* Electric Literature

* CBR.com

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