Der Unterschied zwischen einem einfachen Like und einer ausformulierten Begründung für eine Entscheidung ist klar: Das eine ist eine bloße Präferenz, die keine ihrer Kriterien preisgibt, das andere eine Rechtfertigung für ein Urteil, das man nachvollziehen und sich zu eigen machen kann oder auch nicht. Beide tauchen gleichermaßen auf, wenn Menschen im Netz Erfahrungswerte teilen, die anderen bei Konsumentscheidungen helfen sollen. Likes und gepostete Bewertungen haben außerdem eine gemeinsame Konkurrentin: die algorithmisch generierte, personalisierte Empfehlung. Sie ist gar nicht mehr an expliziten menschlichen Aussagen orientiert, sondern trackt Nutzer:innenverhalten. Im Extemfall starten dann Maschinen den nächsten vorgeschlagenen Song oder die nächste Serie automatisch. Von Nutzer:innen wird also nicht einmal mehr eine Bewertung erwartet – das getrackte Konsumverhalten reicht.
So gibt es eine Entwicklung von diskursiver Verbraucherkommunikation, in der Rechtfertigung verlangt und erbracht wird, über unbegründete und kaum hinterfragbare Affektbekundungen bis hin zu einer automatisierten Kosumdynamik, die keine Reflexion mehr vorsieht – kritisches Bewusstsein rückt dabei immer weiter in den Hintergrund. Womöglich verschwindet es schließlich ganz. Trifft dieses Bild schon heute auf unsere Gewohnheiten zu? Woran ließe sich ein solcher Wandel festmachen? Und: Wohin entwickelt sich eine Gesellschaft, die im Netz immer weniger Raum für kritische Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen vorsieht?
Jörn Lamla ist Professor für Soziologische Theorie an der Universität Kassel und erforscht Verbraucherplattformen, seit sie in den 1990er Jahren im World Wide Web auftauchten. Im Digitalgespräch erklärt er, welchen Wandel die Praxis des Bewertens und Bewerbens von Produkten mit der Entwicklung von Web 2.0, Social Media und algorithmengestützten Plattformen in den letzten Jahrzehnten genommen hat und wie die heutigen Formen der digitalen Konsumgesellschaft unser Selbstbild vom kritischen, souveränen Individuum erschüttern. Mit den Gastgeberinnen Marlene Görger und Petra Gehring diskutiert er, wie sich Konsumgewohnheiten und verschiedene Varianten digitaler Marktplätze auf Demokratie und Selbstbestimmtheit auswirken, welche Interessen dabei im Spiel sind und welche politischen Forderungen daraus erwachsen könnten.