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230810PC Die diebische Elster

Mensch Mahler am 10. August 2023

Wir haben am neuen Haus auch eine neue Haustür. „Sesam öffne Dich“ steckt jetzt in meinem Finger. Ich streiche über den Sensor – und aus blau wird orange und dann grün. Die Tür geht auf. Theoretisch. Meist ist rot die vorherrschende Farbe. Und ich gehe nicht ohne Haustürschlüssel aus dem Haus. Wenn ich dringend muss – und das muss ich immer, wenn ich nach Hause komme – undenkbar, vor dem heimischen Clo zu stehen, verzweifelt die Beine zusammen zu klemmen und hektisch mit dem Finger über die Haustür zu wischen. Die Nachbarn alarmieren vermutlich die Psychiatrie. Meine Gesichtserkennung auf dem Smartphone kennt mich auch nicht mehr. 

Ich habe jahrelang mit einem Vogel gekämpft. Die Elster hat mich in den Wahnsinn getrieben. Ob Steuererklärung fürs PV-Dach oder Neubewertung der Grundsteuer: ohne Elster geht garnichts. Ich hab den Kram inzwischen geschlossen dem Steuerberater abgegeben.

Arztbefunde gehen nur mit Fax von Haus zu Haus. Rezepte werden auf Papier ausgedruckt. Karl Lauternach drängt auf Digitalisierung. Machen wir uns nichts vor: Der gläserne Patient und auch die gläserne Konsumentin ist längst Wirklichkeit. Nicht erst, seit ich mit der Smart-Watch bezahle und unsere Heiz- Lüftungsanlage mit dem Smartphone steure. Vom Auto will ich gar nicht reden. Das plaudert inzwischen munter mit mir und drängt mich, endlich einen Kaffee zu trinken. Aber da hat mir meine Uhr längst mitgeteilt, dass ich eine Minute lang aufstehen soll. Auf der Autobahn. Meine elektronische Schaltung am Rennrad wollte neulich nicht mehr – direkt vor dem Anstieg. Der Akku war leer. 

Sind wir eigentlich bekloppt? Nein, wir sind nur digitalisiert. Die diebische Elster hat sich unsere Daten geklaut. Und sie ist unersättlich. 


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