»Laufendes Verfahren«
Ein Roman zum Ungenügen der Sprache: der NSU-Prozess literarisch
Kathrin Röggla (Autorin)
Eine rassistische Mordserie, jahrelang unaufgeklärt, mitten in Deutschland. Dafür musste das OLG München beim NSU-Prozess die richtigen Worte finden; auch hier galt die Strafprozessordnung: »Ausschließlich derjenige Stoff, der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen und erörtert wurde, darf Grundlage des Urteils sein.« Also wurden Worte gefunden, 438 Verhandlungstage lang: Leichenpositionsveränderung, Gesichtsdurchschuss, Erstickungskomponenten … Weniger detailliert bzw. gar nicht kam zu Sprache, wie dieser Nazi-Terror möglich war: »Umfeldzeugen« schwiegen, Staats-schützer blieben ohne Aussagegenehmigung. Um das Unfassbare in Worte zu fassen, hat Kathrin Röggla jetzt mit ihrem Roman Laufendes Verfahren einen fruchtbareren Ansatz gewählt: die Literatur. Sie hat dabei auf ihre seit Jahren hochgelobte Sprachkunst gesetzt und im Roman ein literarisches »Wir« zu Wort kommen lassen — uns alle als Zuschauer:innen einer Verhandlung, zu der Salon-Moderator Jens Meyer-Kovac noch jede Menge Fragen hat.
Foto: Nerea Lakuntza