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100 Jahre Volkshochschule – Ein Blick zurück nach vorn

Mitschnitt einer Veranstaltung in der Reihe "Geschichte" im September 2019

Referent: Prof. Dr. Jörg Wollenberg (ehemaliger VHS-Leiter in Bielefeld und Nürnberg und Professor für Weiterbildung an der Universität Bremen)

"Republik ist schon viel …Sozialismus bleibt das Ziel" (Gustav Radbruch).
Zum schwierigen Umgang mit republikanischen Traditionen in den Volkshochschulen
„Die Revolution vom 9. November 1918 erlebt zu haben“, so der ehemalige Reichsjustizminister und Gründer der Kieler Volkshochschule, Gustav Radbruch, verpflichtet die Volkshochschulen, für den Ausbau des sozialen Rechtsstaats, die Verteidigung der Grundrechte und die Sicherung des Friedens einzutreten. Diese Aufgabe blieb aus der Sicht Radbruchs für den Konstitutionsprozess der deutschen Republiken auch nach 1945 von grundlegender Bedeutung und war für den Verfassungspatrioten stets mit der Umwandlung und Intensivierung der Kultur- und Bildungsarbeit verknüpft.

Die Erinnerung an seine „Republikanische Pflichtenlehre“ ging verloren. Die jüngst vorgelegte Festschrift des DVV zu „100 Jahre Volkshochschulen“ widmet dem Mitverfasser der Weimarer Reichsverfassung und seinen Mitstreitern als Gründer von Volkshochschulen im sozialistischen Lager kaum eine Zeile. Dagegen kommen vornehmlich die zu Wort, die im „Laboratorium Dreißigacker“ Weimarer Fehlentwicklungen nicht verhinderten und 1933 zur „Selbstgleichschaltung“ neigten. Grund genug, um an andere Bausteine gesellschaftlicher Veränderung nach der Revolution von 1918 zu erinnern, die ein lebenslanges Lernen für alle anstrebten. Ein wenig bekanntes Kind der Novemberrevolution war z.B. die „Freie Hochschule für Handel, Industrie und allgemeine Volksbildung“ in Nürnberg. Ein heute noch aktuelles Modell der Krisenbewältigung in Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung.
Der Blick zurück ist möglicherweise ein Blick nach vorn, wenn wir dabei auch an verdrängte linke Varianten der Volksbildung erinnern, besonders an jene Versuche, die in der Novemberrevolution die bürgerliche Volkshochschulbewegung durch Arbeiterhochschulen und Räteschulen ersetzen wollten. Dabei übernahm Berlin eine Vorreiterrolle mit dem „Kind der Novemberrevolution“: Die Freie Hochschule für Proletarier vom März 1919, die sich ab Oktober 1919 Räteschule der Großberliner Arbeiterschaft nannte, geprägt von den Rätekommunisten und Wanderlehrern Karl Korsch , Alexander Schwab, Georg-Engelbert Graf und Karl Schröder.