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Was Überwindung kostet, ist manchmal genau das Richtige. Auf den Gedanken hat mich eine Sportlerin in der Fußgängerzone gebracht.
Ich höre die Frau, bevor ich sie um die Ecke schießen sehe: „Warum muss ich denn jetzt zum Psychotherapeuten?? Ich bin doch nicht bekloppt!“, faucht sie ihren Joggingpartner an.
„Ich bin doch nicht bekloppt!“ – die Frau schleudert den Satz raus. Dabei geht es gar nicht um „bekloppt-sein“, wenn einem jemand den Gang zum Psychotherapeuten rät.
Ich war 16 und hatte es nicht leicht mit mir. Eines Abends hab ich in der christlichen Jugendgruppe gesessen. Wir haben gesungen: „Jesus, zu dir kann ich so kommen, wie ich bin.“ Das Lied hat was gemacht mit mir, ich war so dankbar. Jesus, einer der mir die Tür weit öffnet und erstmal keine Fragen stellt.
Und dann macht sich ausgerechnet der Gruppenleiter über den Liedtext lustig. Dem hab ich mit voller Pubertätspower die Meinung gesagt. Der Typ hat das ausgehalten. Und als alle nach Hause gegangen waren, hat er zu mir gesagt: „Ich glaub, du brauchst Hilfe.“
Ich war damals nicht bekloppt. Ich hatte nur ein paar Sachen erlebt, die mein Vertrauen in mich und in die Menschheit vorübergehend erschüttert hatten. Und ich hab mir Hilfe gesucht. Bei einer Therapeutin. Würde ich wieder so machen.
Wer einen Knacks im Arm hat, kriegt nen Gips, wer nen Knacks im Zahn hat, geht zum Zahnarzt. Bekloppt? Natürlich nicht! Und wer einen Knacks in der Seele hat? Der ist auch nicht bekloppt. Und braucht trotzdem Hilfe. Zum Beispiel von einem Psychotherapeuten. Und auch von Jesus. Der Liedtext, der mich damals so gepackt hat, der stimmt ja: Zu Jesus könnt Ihr kommen, wie Ihr seid. Er ist immer nur ein Gebet weit entfernt.
Andacht von Claudia Müller