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Worum geht’s in der heutigen Folge?

In der 5. Staffel von [Projekt: Leben] geht es ja um die „Feinde" unserer Personal Projects, und heute ist wieder ein solcher Feind dran. Dieser Feind ist die so genannte Leistungsgesellschaft. Und so möchte ich mir auch in dieser Folge ansehen...

  1. Wer ist eigentlich mit „Leistungsgesellschaft” gemeint, und was ist genau das Problem mit ihr?
  2. Wie wirkt sich die Leistungsgesellschaft auf unsere Personal Projects aus?
  3. Was können wir tun? Wie können wir mit den Auswirkungen der Leistungsgesellschaft besser umgehen?

Was ist mit „Leistungsgesellschaft” gemeint, und was ist eigentlich das Problem damit?

 Also, die Leistungsgesellschaft… das ist ein Begriff, mit dem zusammengefasst wird, dass in der Gesellschaft, in der wir leben, Leistung und Erfolg und produktiv sein und so weiter hohe gesellschaftliche Werte sind. Man kann es auf den Nenner bringen: Wer Leistung bringt, wer - wie man es in der Politik gerne formuliert - „brav und fleißig“ ist, der ist gesellschaftlich angesehen. Wir verwenden relativ viel Zeit darauf, alle möglichen Dinge in unserem Leben zu messen. Wir machen Rankings und Evaluierungen, wir messen und vergleichen ständig.

Die andere Seite der Medaille ist: Alles, was den Anschein erweckt, in irgend einer Weise „unnütz“ zu sein… das ist verdächtig. Es gibt in der Leistungsgesellschaft wohl keinen größeren Vorwurf als jemandem zu sagen, er oder sie liege der „sozialen Hängematte“. Arbeitslos zu sein, das ist mit gesellschaftlichem Prestigeverlust verbunden - insbesondere dann, wenn man sich nicht schnell und aktiv um einen neuen Job bemüht. Jemand, der eine berufliche Auszeit nimmt, der wird mitunter schief angeschaut. Eben weil er oder sie gegen die Werte der Leistungsgesellschaft verstößt. Das Gefährliche an der Leistungsgesellschaft ist aus meiner Sicht Folgendes: Die Werte der Leistungsgesellschaft, also Fleiß und Anstrengung und Erfolg und so weiter, die sind so tief in uns verwurzelt, dass wir sie kaum mehr hinterfragen. Im Gegenteil: Aktuell habe ich den Eindruck, dass Leistung als Wert in unserer Gesellschaft wieder absolut Hochkonjunktur hat. Und das hat zur Folge, dass wir Leistung auch in Bereichen messen wollen, wo wir uns durchaus fragen dürften: Hat das überhaupt irgend einen Sinn? Was meine ich damit? Ich nenne euch mal ein Beispiel, das hoffentlich leicht nachvollziehbar ist: Eine der ersten Aktivitäten, die die neue österreichische Bundesregierung angegangen ist, war die Noten und das Sitzenbleiben in der Volksschule wieder einzuführen. Wie immer geht es mir in diesem Podcast nicht um eine politische Diskussion, ich will nur Folgendes feststellen: Die Idee, Leistung schon bei Sechsjährigen zu messen und Nicht-Leistung mit strengen Konsequenzen zu bestrafen, das ist selbstverständlich eine Idee der Leistungsgesellschaft. Und wie gesagt, dafür mag es Für und Wider geben, aber ich glaube, dass wir uns viel zu wenig bewusst sind, wie tief verwurzelt der Ethos der Leistungsgesellschaft in unserer Gesellschaft ist, wenn wir schon unsere Kleinsten an diesen Werten ausrichten. Wobei: Den Leistungsgedanken lernen Kinder schon im Kindergarten kennen und oft sogar schon davor. Naja, jedenfalls möchte ich mal ein paar Konsequenzen nennen, die aus solchen gesellschaftlichen Maßnahmen entstehen. Oder mit anderen Worten: Was lernen die Kinder dadurch, dass sie Noten bekommen?

  1. Konsequenz: Die Kinder lernen etwas über Wert und Selbstwert, und das lässt sich auf folgenden Nenner bringen: Wenn du etwas leistest, bist du etwas wert. Für gute Leistungen bekommst du Lob und Zuneigung.
    • Bei Erwachsenen führt genau diese Formel dann übrigens zu Überarbeitung und Burn-Out. Eh klar, wenn man seinen Selbstwert vorwiegend über seinen beruflichen Erfolg definiert.
  2. Konsequenz: Die Kinder lernen, dass es wichtig ist, besser zu sein als die anderen. Mit anderen Worten: Kinder lernen von klein auf, sich mit anderen zu vergleichen und zu messen. Noten erhöhen natürlich die Vergleichbarkeit: Bin ich jetzt besser oder schlechter als der andere? Und dabei kommen die Kinder dann drauf, dass es gar nicht soooo wichtig ist, wie gut man selbst ist und wie sehr man sich selbst anstrengt. Man muss nur besser sein als die anderen.
    • Das führt bei Erwachsenen dann zu dem ständigen Vergleichen, das ich in der letzten Folge besprochen habe, beim Verlust der Eigenzeit. Und das ständige Vergleichen ist aus meiner Sicht Gift für ein glückliches Leben, weil wir vergleichen, was sich eigentlich gar nicht vergleichen lässt.
  3. Konsequenz: Die Kinder lernen, dass es grundsätzlich okay ist, Erfolg zu haben auf Kosten anderer. Also, es ist vielleicht nicht gut, aber auch nicht sehr schlimm. Man hat nämlich nicht wirklich was davon, wenn man anderen hilft, auch erfolgreich zu sein. Im Gegenteil: Das macht die ganze Sache nur mühsamer für einen selbst.
    • Bei Erwachsenen führt das dann dazu, dass Werte wie „Solidarität“ aktuell nicht besonders geschätzt werden. Jeder ist seines Glückes Schmied, und wer sich anstrengt, der kann auch glücklich werden. So ungefähr lautet das Credo.

Okay, das waren mal drei Auswirkungen der Leistungsgesellschaft am Beispiel unserer Kleinen. Ich finde, Kinder geben da immer super Beispiele ab. Nicht nur, weil ich selber zwei habe, sondern weil sich Kinder wirklich gut eignen, um unsere gesellschaftlichen Muster aufzuzeigen und weil man sich da gut fragen kann: Muss das wirklich unbedingt so sein? Na gut, aber machen wir jetzt mal den Schritt weg von den Kindern hin zu unseren Personal Projects und fragen uns:

Wie wirkt sich die Leistungsgesellschaft auf unsere Personal Projects aus?

 Machen wir ein kurzes Gedankenexperiment: Denk mal an die zwei, drei, fünf Personal Projects, die dich heute gerade beschäftigen. Wenn du dir diese Personal Projects so anschaust, dann frag dich mal: In wie vielen davon geht es um „Leistung“? In wie vielen davon bewertest du den Erfolg der Projekte an deiner Performance?

Naja, da sind sicher mal alle beruflichen Projekte. Oder alle schulischen. Da geht es natürlich um Leistung. Der Erfolg dieser Projekte ist meistens an Leistungsziele gekoppelt. Das ist halt so, und das ist auch nicht unbedingt tragisch, damit haben wir meistens gelernt ganz gut umzugehen. Aber wie sieht das mit den Projekten in deinem Privatleben aus? Sind die wenigstens Leistungs-frei? Oder deine Herzensprojekte? Sind die wenigstens frei von Leistungsdruck? Vielleicht geht es dir wie mir und musst sagen: Nein, leider nicht. Auch in meinen Herzensprojekten habe ich einen Leistungsdruck. Und zwar einen Leistungsdruck, den ich mir selber auferlegt habe, ungefragt und ohne Not. Wieder ein Beispiel dazu von mir. Jetzt sind wir wieder bei den Kindern, aber weil es so plakativ ist: Ein Herzensprojekt von mir lautet „Ein guter Vater sein“. Naja, kann man sagen, das ist ein schönes Projekt. Aber schauen wir mal genauer hin. Das Projekt heißt „Ein GUTER Vater sein“, nicht einfach nur „Vater sein“. Das heißt, da ist eine Leistungskomponente schon mit eingebaut, bewusst oder unbewusst. Weil was heißt das denn genau, ein GUTER Vater zu sein? An welchen Kriterien will ich das messen? WIE will ich das messen? Und gut im Vergleich wozu? Gut im Vergleich zu meinem eigenen Vater, im Vergleich zu meinem Nachbarn, der auch zwei Kinder hat oder gut im Vergleich zu allen Vätern der Welt? Und noch dazu: Ich habe zwei Kinder. Was für meinen Großen ein guter Vater ist, muss es noch lange nicht für meine Kleine sein - und umgekehrt. Noch dazu, weil sich die Anforderungen auch ständig ändern. Also, ich glaube, man sieht schon, dass es im Prinzip für die Fische ist, meine Vaterrolle unter irgend einen Leistungsanspruch zu stellen. Und dennoch tue ich es, weil ich mich gar nicht entziehen kann...