Ludwig Tiecks Novelle „Der blonde Eckbert“ entstand im Jahr 1797, mitten in der deutschen Romantik, als der Phantasie oftmals eine Art freier Lauf gelassen wurde. Und die Binnenerzählung dieses Werks – die erzählte Lebensgeschichte der Figur Bertha – gleicht denn auch einem romantischen Märchen, erzählt am Kamin und voller aufregender Ereignisse und überraschender Wendungen. Tieck zeigt sich im Hinblick auf den gesamten Text jedoch als absolut formtreuer Novellist – wie in „Des Lebens Überfluss“ (vgl. die Podcast-Folgen vom 23. Januar bis 6. Februar). Denn natürlich enthält das Werk auch eine Rahmenerzählung. Und was für eine!! Sie stellt an ihrem Schluss die gesamte Binnenerzählung, also Berthas Geschichte, infrage und zwingt den Leser, die Hörerin, ja sogar Bertha selbst dazu, alles noch einmal zu überdenken und anders zu deuten.
Es sind zwei Geschichten in einer, und beide sind ereignisreich und äußerst unterhaltsam. In der märchenhaften hören wir von unglücklicher Kindheit, vom Aufbruch in die Fremde, von Todessehnsucht und Todesangst, dem Wunsch nach anderen Eltern, einer symbolischen Wiedergeburt in der Natur, einer (scheinbaren) Helfer-Figur, von merkwürdigen Tieren, Geheimnissen, Edelsteinen, vom Entdecken der Literatur in der Jugend und von unbewusst aufsteigenden Ahnungen. Dann aber, in der anderen Geschichte, auch von Lügen, Misstrauen, merkwürdigen Identitätswechseln, wahnhaftem Erleben, sogar von Mord.
Am Ende fallen nach dem Aussprechen eines kleinen Wortes (es ist der Name eines Hundes) sämtliche Lebenspläne der zentralen Figuren zusammen, mehr als das: Ganze Leben enden nun. Bertha selbst stirbt, und in Eckberts Psyche geht alles durcheinander. Traum und Wirklichkeit scheinen sich in ihm zu vermischen. Er liegt am Ende „wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden“, wie es heißt.
So unterhaltsam, bilderreich und aufregend kann Literatur aus längst vergangenen Jahrhunderten sein. Gut, dass sie sorgfältig archiviert wurde, so dürfen wir noch heute an dieser Erzählung teilhaben.
Und mehr als gut, geradezu märchenhaft eindrucksvoll kommt die Interpretation der Schauspielerin Eva Schröer daher und zu uns. Sie bietet mit ihrer mehrstimmigen Aufnahme eine sprechästhetisch hochwertige Interpretation an, und so ist ein Hör-Kunstwerk entstanden, das es uns leicht macht, all das, was wir in ihm hören, uns vorstellen, vor oder in uns sehen zu können. Es ist ein Glück für uns und alle an Literatur Interessierte, dass es solch starke und ausdruckssichere Erzählkünstler gab und gibt wie Ludwig Tieck und Eva Schröer.