Im 19. Jahrhundert war es einer Frau nahezu unmöglich, literarische Werke zu veröffentlichen, und schon gar nicht solche wie die der Französin George Sand! Sie tat es denn auch unter männlichem Pseudonym. Seit den 1830er-Jahren schrieb Sand etliche Geschichten und Romane, die meist die Emanzipation der Frau thematisierten. Eine frühe Feministin. Und eine Irritation. Doch nicht nur eine schreibende Frau war damals ein Problem für die patriarchalischen Gesellschaften – schon eine lesende galt als gefährlich für das soziale Gefüge. Man befürchtete – sehr kurz gefasst –, dass sich die Leserinnen eine Idealwelt mit eigenen Ideen erschaffen und somit auf abseitige Ideen kommen könnten, etwa auf die einer selbstbestimmten, romantischen Liebesbeziehung.
In der Novelle „Kora“ (etwa 1836 entstanden) dreht George Sand dies um. Hier wird nicht die Frau als potenziell gefährdet gezeigt, durch das Lesen von Literatur Schaden zu nehmen, sondern der Mann. Die Wahrnehmung des zunächst namenlosen Kora-Verehrers, der zugleich der Erzähler ist, wird hier durchweg von seinen inneren Bildern geprägt – von Bildern, die sämtlich der Literatur entstammen, seinen „Lieblingsbüchern“, wie es heißt. Und dies sind vornehmlich Werke von E.T.A. Hoffmann: „Kora verwirklichte all die wonnigen Träume, die der Dichter mir eingab, und ich vergnügte mich damit, ihr eine geistige, feenhafte Beschaffenheit anzudichten, die eigens für sie erfunden zu sein schien. Ich fühlte mich auf diese Weise glücklich.“ Doch er tritt nicht in Kontakt mit ihr, er beobachtet sie nur, „umbraust von den Wogen der Poesie“. So wird Kora selbst zu einer Kunstfigur im Innenleben des Erzählers, gesellt sich zu Nathanael oder den Meister Floh aus Hoffmanns Erzählungen. Und es kommt, wie es kommen muss: Sie heiratet einen anderen. Ist die Literatur vielleicht doch gefährlich für manch einen? Jedenfalls dürfen wir gespannt sein, wie das ausgeht … Das wird im zweiten Teil verraten. – Beide Teile liest Stefan Nàszay, wie immer mit angemessenem Engagement.