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Description

Eine Frau und ein Mann rudern abends raus auf den See und warten darauf, dass sie etwas spürt. Wir wissen nicht, was sie spüren soll. Es wird nicht mitgeteilt, bleibt unserer Phantasie überlassen. Zwei andere, auch Frau und Mann, belauschen diese beiden. Er ist ein Beamter, der in sich selbst einen Dichter sieht und meint, nun, als das beobachtete/belauschte Paar mit dem Ruderboot in einen Konflikt gerät, Stoff für seine Erzählkunst zu erhalten: „Das nenne ich ein Erlebnis, das nenne ich eine Impression“. Und sie, Dina, deren Perspektive der Erzähler immer wieder einnimmt und die so bereit war, „glücklich zu sein und glücklich zu machen“, kann am Ende der Geschichte nur Mitleid und vor allem Selbstmitleid empfinden.

Was für ein Text!

Eduard von Keyserling gehört zu jenen Autoren deutscher Sprache, die in Fachkreisen lange Zeit ein sehr hohes Ansehen genossen, in der Öffentlichkeit aber weitgehend unbekannt sind. Nach 1918 waren Aristokraten nun einmal nicht sehr beliebt. Vor etwa 30 Jahren wurde sein Name durch den neu aufgelegten Roman „Wellen“ zwischenzeitlich wieder bekannt, das hielt sich jedoch nicht lange. Keyserling schrieb etliche Romane und Erzählungen, eine präsentierten wir bereits in diesem Podcast („Nur zwei Tränen“, vgl. Folge vom 21.8.23).

Das, was in der Novelle „Nachbarn“ erzählt wird, ist zugleich bitter und komisch. Die beiden Paare treffen aufeinander, es ergibt sich eine neue Wahlverwandtschaft. Und zwei Figuren bleiben schließlich ratlos zurück. Genaueres wird hier nicht verraten. Das Entscheidende ist ohnehin nicht so sehr das, was der Autor hier erzählt, sondern wie er das tut. Wie so oft, ja fast immer in der Literatur. Es ist ein Erzählen, das so gekonnt und ausgefeilt wirkt, dass alle wichtigen Textstellen ambivalent bleiben. Nirgendwo ist klar zu sagen, was nun eigentlich genau geschieht. Eins ist allerdings ganz klar: Wichtig ist eine scheinbare Randfigur, die Magd Resei. Sie fungiert gewissermaßen als Wegweiserin im Geschehen, als diejenige, die die Figuren über ganz Wesentliches aufklärt. So wird die Erzählung gelenkt. Das alles ist so geschickt gestaltet und wohltuend distanziert erzählt, dass es ein literarischer Genuss wird. – Der Text stammt aus dem Jahr 1911. Es liest Volker Drüke.