Anna: Liebe Hörerinnen und Hörer, herzlich willkommen bei:
Ardhi: „Grüße aus Deutschland“.
Anna: Sie hören heute:
Ardhi: „Der Wandergeselle“.
Ardhi: Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen eine Straße entlang … Auf einmal kommt Ihnen ein junger Mann entgegen.
Anna: Der junge Mann sieht aus als käme er direkt aus dem Mittelalter. Er hat schwarze Kleidung an und einen großen, schwarzen Hut auf. Über der Schul ter trägt er einen langen Stock, an dem ein kleines Päckchen aus Stoff hängt. Ardhi: Sie sprechen den Mann an und fragen ihn, was er für merkwürdige Kleidung trägt. Und er antwortet:
Timo: Das ist unsere traditionelle Arbeitskleidung, die die Handwerker tragen.
Anna: Aha, er ist Handwerker – ein Handwerker arbeitet körperlich. Es gibt viele
Handwerksberufe.
Ardhi: Der junge Mann heißt Timo. Bestimmt ist Ihnen aufgefallen, dass er leichten
Dialekt spricht …
Anna: Allerdings!
Ardhi: … und zwar Schwäbisch. Das spricht man im Südwesten von Deutschland. Timo ist 26 und von Beruf Zimmermann.
Anna: Zimmerleute arbeiten mit Holz. Sie machen zum Beispiel das Dach von einem
Haus.
Ardhi: Timo hat drei Jahre lang eine Ausbildung in einem Betrieb gemacht. Er hat dort mitgearbeitet und alles Wichtige gelernt. An einem Tag in der Woche musste er auch in die Schule gehen, in die „Berufsschule“. Am Ende der drei Jahre hat er Prüfungen gemacht. Und jetzt ist er „Geselle“.
Anna: Als Geselle könnte er sich ja jetzt eine feste Arbeit suchen, eine Stelle. Aber er wollte lieber wandern.
Ardhi: Früher sind alle Handwerksgesellen drei Jahre lang durch die Welt gewandert. Und wo sie Arbeit gefunden haben, sind sie eine Weile geblieben. Und es gibt tatsächlich junge Handwerker, die das heute noch so machen.
Anna: Eine Weltreise – nicht schlecht. Aber erst mal braucht man dafür doch Geld.
Ardhi: Ja, man geht mit fünf Euro los.
Anna: Ach du liebe Zeit! Na ja, aber wenn man Arbeit hat, kann man ja dann Geld verdienen.
Ardhi: Nein. Oft arbeiten die Wandergesellen nur gegen Kost und Logis. Anna: Was könnte das bedeuten: „gegen Kost und Logis arbeiten“?
Marion: Also, du arbeitest im Ausland nur gegen Kost und Logis.
Timo: Wenn’s kein deutscher Arbeitgeber ist. Wenn’s ein deutscher Arbeit-
geber ist, sag’ ich mir natürlich, der verdient deutsches Gehalt, da kann ich auch mein Gehalt verlangen. Aber wenn ich jetzt für zum Beispiel einen einheimischen Bergbauern arbeite, dem ist die Hütte abgebrannt und ich sag’, dem helfe ich jetzt zwei, drei Wochen, die Hütte wieder
aufzustellen, dann ist das ganz einfach Ehrensache , dass man sagt,
für Übernachtung und Essen, das reicht dann schon. Und das Miteinander in der Familie gibt einem mehr als jedes Geld, das man verdient in dieser Zeit.
Anna: „Gegen Kost und Logis arbeiten“ – das bedeutet:
Aufgabe
Ardhi: Man bekommt für seine Arbeit die Übernachtung, also einen Platz zum Schla fen, und das Essen.
Anna: Dann kann ihn jeder fragen, ob er für ihn arbeitet. Er muss ihm nur Kost und
Logis geben.
Ardhi: Genau.
Anna: Also liebe Hörerinnen und Hörer, wenn Sie gerade ein Haus bauen und Hilfe brauchen: Schauen Sie doch mal, ob nicht gerade ein junger Mann mit einem schwarzen Hut vorbeikommt.
Ardhi: Timo ist „das Miteinander“ in einer Familie, also das Zusammenleben, wichti ger als Geld.
Anna: Aber was ist, wenn er keine Arbeit findet? Mit fünf Euro in der Tasche? Ardhi: Tja, da gibt´s nur eins, was man tun kann …
Marion: Und wenn du jetzt in einem Land oder in einer Stadt keine Arbeit findest
– wie machst du das dann? Wovon lebst du dann? Wo schläfst du?
Was isst du?
Timo:
Ja, das lernen wir ganz am Anfang, wie man reist, ohne dass man eigenes Geld hat. Man muss die Mitmenschen fragen und von der Gunst der Mitmenschen leben. Das heißt, man frägt, ob man vielleicht abends bei jemandem übernachten darf, man frägt Bäckereien, ob sie vielleicht `ne Kleinigkeit übrig haben abends oder am Wochenende. Man geht zu
Metzgereien und frägt, ob die vielleicht ein Wurststückchen übrig haben
Marion: Ist das schwierig für dich?
Timo: Ich hab gelernt, viel zu reden ...
Ardhi: Was macht ein Wandergeselle, wenn er keine Arbeit findet? Anna: Ein Wort, das mit „f“ anfängt.
Aufgabe
Ardhi: „Fragen“. Er fragt seine „Mitmenschen“, also die anderen Menschen, ob er zum Beispiel bei ihnen übernachten kann. Timo hat allerdings gesagt: „er frägt“. Das ist Dialekt, steht also so nicht in Ihrer Grammatik …
Anna: Hm … ich fräge … äh ich frage mich, warum Timo das macht. Ich meine, Er fahrung im Beruf kann er doch auch hier bekommen.
Ardhi: Ja, aber wenn man in anderen Ländern arbeitet, bekommt man noch viel mehr Erfahrung. Wenn man in Rumänien Häuser baut, in Indonesien und Brasilien – da lernt man eine Menge.
Anna: Ja, klar. Und man sieht die ganze Welt … Ähm, können das auch Frauen ma chen?
Ardhi: Ja, sicher. Aber eben nur Handwerkerinnen.
Anna: (enttäuscht) Ach so.
Ardhi: Timo hat auch eine Freundin, die natürlich nicht mit ihm durch die Welt wan dert. Er hat mir ihr fast nur Kontakt über E-Mail.
Anna: Hm … Das ist sicher nicht einfach.
Marion: Auf Wanderschaft begegnen dir ja auch viele andere Frauen … Ähm,
ist das für dich kein Problem?
Timo: Die Frage werd ich oft gefragt. Und … ich sag mal, am Anfang die Zeit,
die ist sehr interessant, weil man wirklich immer angeguckt wird und im Mittelpunkt steht, viele Frauen einen ansprechen …
Ardhi: „Im Mittelpunkt“ – wo ist das?
Aufgabe
Anna: In der Mitte, im Zentrum.
Ardhi: Und „man steht im Mittelpunkt“ bedeutet dann:
Aufgabe
Ardhi: Man steht im Zentrum des Interesses, alle interessieren sich für einen.
Anna: Timo hat allerdings bald gemerkt, dass die Frauen sich gar nicht so sehr für ihn als Menschen interessieren.
Timo: Ist aber später nicht mehr so interessant. Man sieht, die meisten Frauen
sprechen einen nur wegen dieser auffälligen Kleidung an und auch selber im Mittelpunkt zu stehen in der Öffentlichkeit .
Anna: Timo hat bestimmt viel gelernt bei dieser „Reise“, über seinen Beruf, über an dere Menschen und über sich selbst.
Ardhi: Wir wollten noch wissen, was seine wichtigste Erfahrung war.
Marion: Was hast du gelernt? Was hast du Besonderes erfahren?
Timo:
Ähm, was man als Allererstes lernt, ist dass Menschen, die nichts haben, am meisten geben. Menschen, die wenig besitzen, sehr, sehr offen sind gegenüber anderen Menschen, die nichts besitzen, so wie wir.
Ardhi: Menschen, die wenig haben, die wenig besitzen, geben am meisten.
Anna: Menschen, die arm sind, sind besonders offen gegenüber anderen Menschen, die auch nichts haben.
Ardhi: Das überrascht mich nicht. Und Sie?
Anna: Tschüs! Ardhi: Tschüs.
Anna: Du Ardhi, hättest du nicht Lust so was zu machen? Ardhi: Was denn? Ach wie der Zimmermann, so … Anna: Ja, genau!
Ardhi: ... in der Welt herumreisen? Doch, das klingt eigentlich schon interessant.
Würd’ ich mal gern machen.
Anna: Hier hast du fünf Euro. Kannst gleich losgehen. Tschüs.