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Joachim Feltkamp

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LuhmaniacLuhmaniac91. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 409, K09Start des 9. Kapitels über das Verhältnis von Politik und Recht. Die Theorie sozialer Systeme geht davon aus, dass Politik und Recht zwei autopoietische, operativ geschlossene Funktionssysteme sind. Historisch scheinen Rechtsetzung und Rechtsprechung eher eine Einheit zu bilden. Diese Auffassung scheint auch der Begriff «Rechtsstaat» zu bestätigen. Gehen wir zunächst auf die systemtheoretische Einordnung ein. Zu Beginn weist Luhmann darauf hin, dass die Theorie sozialer Systeme eine Reflexionstheorie ist. Das bedeutet, sie verlangt eine Beobachtung zweiter Ordnung. Der Forschungsgegenstand «Recht» darf nicht einfach als «gegeben» hingenommen werden. Stattdessen muss ein Beobachter (wir) erstmal beobachten: Welche Bedingungen der Möglichkeit m...2025-06-041h 52LuhmaniacLuhmaniac90. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 403, K08Hinweis: Für Tonstörungen zwischen der 62. und 74. Minute bitten um Entschuldigung. Letzter Abschnitt über juristische Argumentation: Sich ausdifferenzierende Funktionssysteme wie das Recht verlagern ihre Kernoperationen zunehmend auf die Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung. Hierin sieht Luhmann ein Strukturmerkmal der Moderne. Juristisches Argumentieren versteht sich immer im Kontext der Beobachtung zweiter Ordnung. Schon die Vorbereitung der Argumentation rechnet damit, dass ihre Ausführung in einem sozialen System stattfindet und von anderen beobachtet werden wird. Andere werden die Argumentation interpretieren und darauf reagieren. Beobachtung zweiter Ordnung ist die Beobachtung von Beobachtungen – und ein Strukturmerkmal von Funktionssystemen wie Politik, Wirtschaft oder Recht. Das Sy...2025-05-041h 29LuhmaniacLuhmaniac89. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 400, K08Welche Funktion hat die Logik für die juristische Argumentation? „Logisches Schließen“ ist in der juristischen Argumentation Standard. Bei der Interpretation des geltenden Rechts werden Argumentation und Begründung so formuliert, dass sie möglichst nur eine logisch zwingende Schlussfolgerung zulassen. Die Funktion der Logik besteht im Erkennen und Vermeiden von Fehlern, und in der Abschätzung von Folgen, die Änderungen des Rechts zur Folge haben.2025-03-3150 minLuhmaniacLuhmaniac88. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 393, K08Welches zugrunde liegende Problem offenbaren die Theoriekontroversen über Interessen- und Begriffsjurisprudenz? Das rekonstruiert die Theorie sozialer Systeme anhand der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Der Streit über Interessen- und Begriffsjurisprudenz Anfang des 20. Jh. hatte die Funktion des Rechts theoretisch nicht befriedigend erklären können. Auffällig: Der Begriff des Interesses verweist auf die Umwelt des Rechts. Eine Rechtstheorie müsse jedoch beobachten, wie die Rechtsprechung damit umgeht. Im achten Abschnitt will Luhmann nun rekonstruieren, welches zugrunde liegende Problem die Kontroversen offenbaren. Hierzu unterscheidet er formale und substantielle Argumente. Formales Argumentieren bedeutet Selbstreferenz und Bezug auf Rechtsbegriffe. Substanzielles Argumentieren bedeutet Fremdre...2025-02-231h 36LuhmaniacLuhmaniac87. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 389, K08„Interessenjurisprudenz“ gilt als gescheiterter Versuch, den Begriff des Interesses aus der externen Umwelt des Rechts in Form einer Theoriedebatte in die Rechtswissenschaft einzuführen. Um 1900 führte eine pragmatisch-zweckdienlich auftretende Theorie den Begriff des Interesses in die Rechtswissenschaft ein. In Deutschland entfachte die Theorie Diskussionen unter dem Terminus „Interessenjurisprudenz“ (prudentia, lat.: Klugheit, Vernunft). In den USA wurde sie mit anderen Konzepten kombiniert (z.B. mit social engineering, social policy, Instrumentalismus und „legal realism“). Eine Zeitlang schien die Frage debattierfähig, ob die Funktion des Rechts im Schutz „berechtigter“ Interessen liegen könnte. Also: in einem Zweck, den die externe Umwelt des Rechts bestimmt...2025-01-301h 12LuhmaniacLuhmaniac86. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08Über den historischen Argumentationsprozess, der den Sinngehalt von Begriffen abschleift, und die Funktion der Rechtsdogmatik für das Rechtssystem. Juristische Argumentation interpretiert geltendes Recht und versucht, ihre Auslegung von ausgewählten Begriffen überzeugend zu begründen. Aus den Begriffen selbst lässt sich die Begründung jedoch nicht ableiten. Der Sinn des Begriffs – worauf verweist er? – wird erst im Argumentationsprozess ausgelotet. Dies geschieht, indem verschiedene Auslegungsmöglichkeiten erörtert werden. Dabei wird der Begriff auf der Wenn-Seite von Konditionalprogrammen eingesetzt, und es werden die Dann-Folgen eingeschätzt, also die Konsequenzen dieser Auslegung. Erst aus diesem Prozess ergibt sich die Begründung. Auf dies...2025-01-151h 40LuhmaniacLuhmaniac85. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08Eine Letztbegründung von Gründen mit „Gott“ wäre im positiven Recht der Moderne nicht mehr zulässig. Wie werden Argumente stattdessen begründet? Luhmann hebt die Beurteilung der Folgen von Rechtsentscheidungen hervor. Im alteuropäischen Recht der Vormoderne konnte man sich bei der Interpretation von Texten noch auf Gott berufen. Gottes Wille äußerte sich in der Natur. Der menschlichen Natur ließ sich Vernunft zuschreiben, die es dem „Subjekt“ ermöglichte, „objektive“ Erkenntnis zu gewinnen. Mit solchen Begründungsbegriffen ließ sich „gut“ argumentieren: Sie stützten sich gegenseitig. Gott war Ursprung und Letztbegründung zugleich. Mit der Säkularisierung brauchte es Ersat...2024-12-141h 19LuhmaniacLuhmaniac84. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 372, K08Gründe sind ausgewählte Unterscheidungen, die bei der Interpretation eines Rechtstextes in der juristischen Argumentation angeführt werden. Um im Recht als „guter“ Grund anerkannt zu werden, muss die Begründung zudem zeigen, dass sie konsistent mit geltendem Recht ist. Aber welche Funktion erfüllt das Argumentieren überhaupt? Wozu braucht es Begründungen? Gehen wir vom Anspruch des Rechtssystems aus, alleinzuständig für die Produktion von geltendem Recht zu sein. Rechtsgeltung ist das Symbol des Systems. Allerdings ist Rechtsgeltung eine Tautologie: Das Recht gilt, weil das Recht besagt, dass die Geltung rechtens ist. Gründe verhüllen diese Tautologie. Mit...2024-10-221h 35LuhmaniacLuhmaniac83. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 362, K08Redundanz bedeutet im Rechtssystem: Um eine neue Information einzuordnen, bezieht man sich auf schon vorliegende Informationen. Diese sind schriftlich in Texten fixiert und schränken den Auswahlbereich dessen, was daran angeschlossen werden kann, ein. Doch der Text muss ja noch interpretiert und in Bezug zum aktuellen Fall gesetzt werden. Und wer interpretiert, muss antizipieren, ob die Auslegung auch für andere Kommunikationsteilnehmer überzeugend sein wird. Interpretation ist damit ein soziales Verhalten. Ausgewählt werden Unterscheidungen, die auch für andere Kommunikationsteilnehmer überzeugend sein sollen. Wie andere Teilnehmer dann tatsächlich daran anknüpfen, ist nicht zweifelsfrei vorhersehbar. Das heißt: Solange d...2024-10-042h 08LuhmaniacLuhmaniac82. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 356, K08Redundanz und Varietät sind zwei sich gegenseitig steigernde Bedingungen der Möglichkeit juristischer Argumentation. Insbesondere durch sequenzierte Konditionalprogramme erhöht das Rechtssystem seine Varietät. Gerechtigkeit bedeutet im Rechtssystem konsistentes Entscheiden. Konsistenz wiederum wird in der juristischen Argumentation durch Redundanz gewährleistet. Sie sorgt dafür, dass jede einzelne Entscheidung im Verlauf des Kommunikationsprozesses konsistent ist. Mangelnde Konsistenz kann als Fehler bemängelt werden. Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung scheint es nur um dieses Erkennen von Fehlern zu gehen. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung lässt sich jedoch erkennen: Dieser Operationsmodus, die Art und Weise, wie die...2024-09-081h 14LuhmaniacLuhmaniac81. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 352, K08Die Bedingungen der Möglichkeit juristischen Argumentierens bestehen aus einer Kombination von Institutionalisierung und Redundanz. Was bedeutet das? Wenn man fragt, welche evolutionären Entwicklungen vorausgehen müssen, damit sich juristische Argumentation entfalten kann, bieten sich zwei Voraussetzungen an. Die erste besteht darin, dass sich die Rechtskommunikation institutionalisiert. Dies schränkt den Auswahlbereich möglicher Kommunikationen ein. Die zweite Voraussetzung ist, dass innerhalb dieses Rechtsinstituts normativ Redundanz angewendet wird. Redundanz erfüllt die Funktion, diejenigen Informationen auszuwählen, die rechtsrelevant sind. Um zu beobachten, wie das Rechtssystem in der Argumentation seine Selbstreproduktion vollzieht, unterscheidet Luhmann Information von Redundanz. Eine Information ist der...2024-07-121h 35LuhmaniacLuhmaniac80. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 348, K08Wie die Theorie sozialer Systeme „juristische Argumentation“ definiert Herkömmliche Argumentationstheorien gingen von einem essentialistischen Weltbild der Vormoderne aus und definierten juristische Argumentation als überzeugendes Begründen. Für Begründungen gibt es jedoch keine Letztbegründung. Man landet unweigerlich bei der Autologie der „Vernunft“. Darum schlägt Luhmann eine Neudefinition vor. Diese orientiert sich strikt an der Kommunikation, die man im Rechtssystem vorfindet. Wie jede Kommunikation, verläuft auch juristisches Argumentieren nach dem Evolutionsschema Variation – Selektion – Restabilisierung. Dasselbe gilt für das Begründen. Immer handelt es sich um begriffliche Unterscheidungen, die selektiert werden (und darum kontingent sind). Juristische Argumentation ist demn...2024-04-181h 17LuhmaniacLuhmaniac79. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 343, K08Juristische Argumentationstheorie setzt auf Begründungen. Doch was ist ein Grund? Luhmann kritisiert, dass der Begriff allein nichts besagt. Eine Begründung ergibt erst Sinn, wenn sie auf ausgewählte Unterscheidungen verweist. Die Kontingenz dieser Auswahl macht die Theorie sich nicht ausreichend bewusst. Was ist ein Grund? Den Grund an sich gibt es nicht. Das sieht man schon daran, dass es keinen Gegenbegriff gibt, keinen „Ungrund“ oder „Nichtgrund“. Der Begriff ist keine Zweiseitenform. Wer begründet, muss deshalb auf begriffliche Unterscheidungen verweisen, die selektiert werden. Wie bei jeder Auswahl, könnten auch andere Unterscheidungen ausgewählt werden. Damit sind Begründungen konting...2024-03-171h 21LuhmaniacLuhmaniac78. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 338, K08Zum Auftakt weist Luhmann darauf hin, was Argumentation im Rechtssystem nicht vermag: Argumente können geltendes Recht nicht ändern. Im Gegensatz dazu schränkt das geltende Recht die Möglichkeiten ein, wie argumentiert werden kann. Zum Beispiel: nicht mit Moral. Durch Texte sind verschriftlichtes Recht und mündliche Argumentation strukturell gekoppelt. Das heißt, Argumente müssen den vorliegenden Fall in Bezug setzen zum geltenden Recht und dieses interpretieren. Zum Beispiel muss ein Gesetzestext auf die Frage hin interpretiert werden, ob ein gleicher Fall vorliegt oder nicht. An welchen Begriff jedoch dabei angeknüpft wird, ob und wie oft eine Textstel...2024-02-141h 23LuhmaniacLuhmaniac77. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 333, K07Letzter Abschnitt über die Stellung der Gerichte im Rechtssystem: In einem primär funktional ausdifferenzierten System können auch andere Differenzierungsformen fortbestehen oder sich bilden. So gibt es in Politik, Wirtschaft und Recht je ein Entscheidungszentrum aus Staat, Banken und Gerichten. Nur in diesen Zentren finden wir noch eine weitere Ausdifferenzierung durch Hierarchie vor. In der Peripherie gibt es diese Hierarchie nicht. Die moderne Gesellschaft ist primär funktional differenziert: Globale Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft, Recht erfüllen als jeweils autonome Kommunikationssysteme unverzichtbare Funktionen für die Gesellschaft. Neben dieser dominanten Differenzierungsform können andere Formen gleichzeitig bestehen. Im Rechtssystem finden...2024-01-141h 16LuhmaniacLuhmaniac76. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 328, K07In der geschichteten Gesellschaft hatten Adel und Volk nicht die gleichen Rechte. Infolge des Justizverweigerungsverbots entfallen solche gesamtgesellschaftlichen Vorgaben für die Rechtsentscheidung. Gerichte ersetzen sie durch Vorgaben, die sie autonom definieren können und die ausschließlich ihrer Funktion dienen: Profession und Organisation. Die „gottgebene“ Schichtung der Ständegesellschaft ist kein Entscheidungskriterium mehr. Das Gericht ersetzt derlei Vorgaben durch selbst bestimmbare Vorgaben: Organisation und Profession werden entscheidend dafür, wer wie unter welchen Bedingungen „Mitglied“ des Gerichtssystems werden kann und wie Entscheidungen herbeizuführen sind. Beide Vorgaben sind funktional orientiert. Sie dienen der Autopoiesis und damit der Autonomie. Das Gerichtssystem...2023-12-171h 15LuhmaniacLuhmaniac75. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 325, K07Im Rechtssystem bilden Gerichte das Zentrum. Und nur dort gibt es einen Zwang zu entscheiden. Was bedeutet das für die operative Geschlossenheit des Systems? Dies untersucht der sechste Abschnitt in zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Zunächst geht es um die Zeitdimension von Entscheidungen. Eine Entscheidung kann nur in der Gegenwart getroffen werden. Sie unterbricht den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft und stellt ihn neu wieder her. Die Form dieser Unterbrechung und Neuverknüpfung nennen wir eine Entscheidung. Wie aber verknüpft ein operativ geschlossenes System Vergangenheit und Zukunft? Die Vergangenheit wird im Fallformat rekonstruiert, mithilfe des Rechts, das ebenfalls in d...2023-11-3057 minLuhmaniacLuhmaniac74. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 320, K07, VEinst hierarchisch differenziert, sind Politik und Recht heute funktional differenzierte Systeme gleichen Ranges. Dieser Wechsel der Differenzierungsform wurde erst möglich, nachdem sich das Recht intern ausdifferenzierte: in ein Zentrum und eine Peripherie. In der Ständegesellschaft waren Politik und Recht nur formal getrennt. In der Praxis stand die Gesetzgebung des Monarchen meist hierarchisch über der Rechtsprechung. Im Übergang zur Moderne kommt es zu einem Wechsel dieser Differenzierungsform. Angestoßen wird der Umbau durch das Verbot der Justizverweigerung. Damit bürden sich Gerichte selbst den Zwang auf, jeden ihnen vorgelegten Fall rechtlich zu entscheiden – auch wenn es gar keine Gesetze gibt, di...2023-11-121h 38LuhmaniacLuhmaniac73. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 316, K07, IVMit dem „Verbot der Justizverweigerung“ bürden sich Gerichte auf, jeden Fall zu entscheiden. Zugleich ermöglicht ihnen dieser Zwang jedoch die Freiheit, selbst Regeln zu entwickeln, wie man trotz Unentscheidbarkeit entscheiden kann. Durch diese Regeln schaffen sie allerdings selbst Recht. Das so entstehende „Richterrecht“ beruht also auf der Paradoxie, dass die Rechtsprechung erstmal Recht schaffen muss, um Recht sprechen zu können. In dem Justizverweigerungsverbot sieht Luhmann denn auch den „Ausgangspunkt für die Konstruktion eines juristischen Universums“. Eine Art Startrampe für das Rechtsdenken und die juristische Argumentation der Moderne. Durch ihre Selbstbindung an den Entscheidungszwang erlauben sich Gerichten selbst...2023-10-281h 05LuhmaniacLuhmaniac72. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 310, K07, IVMit dem Verbot der Justizverweigerung bringt das Rechtssystem die universale Zuständigkeit und Entscheidungsfähigkeit von Gerichten zum Ausdruck. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Autonomie im 19. Jahrhundert. „Verbot der Justizverweigerung“ bedeutet, dass Gerichte jeden Fall, der ihnen vorgelegt wird, entscheiden müssen. Im römischen Recht und auch im Mittelalter hatte das Recht nur bestimmt definierte Klagen entschieden. Mit dem Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft braucht es vollumfängliche Zuständigkeit. Die operative Schließung als autonomes System verlangt es, keinen Fall zurückzuweisen. Der Anspruch folgt aus der funktionalen Prämisse des Rechtssystems selbst, alleinzuständig für die Unterschei...2023-10-101h 15LuhmaniacLuhmaniac71. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 305, K07, IIIGerichte treffen Entscheidungen, indem sie das Recht „anwenden“ und Gesetzestexte interpretieren – sollte man meinen. Wie nebenbei entwickeln sie dabei jedoch umfangreiche Regelwerke, so etwa die Zivilprozessordnung, in denen sie festlegen, auf welche Art und Weise die Entscheidungsfindung abzulaufen hat. Dieses sogenannte „Richterrecht“ ist vordergründig zwar nur ein Nebenprodukt der Gerichtstätigkeit. Im Einzelfall kann es jedoch bedeutsamer sein als das Gesetzesrecht! Hierin zeigt sich erneut das zirkuläre und keineswegs hierarchische Verhältnis zwischen Politik und Recht: RichterInnen wenden eben nicht nur einfach Gesetze an. Sie „schaffen“ selbst das Recht, das sie „anwenden“. Diese Paradoxie, dass die Gerichtsentscheidung aus der Logik des Rechts a...2023-09-221h 08LuhmaniacLuhmaniac70. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 302, K07, IIIIm 18. Jh. wandelt sich das hierarchische Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung in ein zirkuläres. Politik und Recht werden zu autonomen Funktionssystemen und bestimmen die Differenz zwischen sich jeweils selbst. Eine Hierarchie kann es nicht geben. Kein Funktionssystem ist „wichtiger“ als ein anderes. Jedes erfüllt eine einzigartige, unverzichtbare Funktion für die Gesellschaft. Das tradierte Denken wirkt jedoch noch nach: insbesondere die alte iurisdictio-Vorstellung, der nach Gesetzgebung und Rechtsprechung nur zwei Seiten einer einheitlichen Aufgabe des Herrschers wären. Die Erfahrung, dass politische Macht entscheidend dafür gewesen war, ob man sein Recht vor Gericht auch durchsetzen konnte, lässt sich...2023-09-0158 minLuhmaniacLuhmaniac69. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 299, K07, IIGerichte bilden ein Teilsystem (Subsystem) im Rechtssystem. Wie es zu dieser internen Ausdifferenzierung kam, lässt sich anhand der Unterscheidung von Gesetzgebung und Rechtsprechung historisch nachvollziehen. Dabei ist es unerlässlich, die jeweils zugrundeliegende gesellschaftliche Differenzierungsform mit zu betrachten. Denn diese bildet die Bedingungen der Möglichkeit, unter denen politische Herrschaft und Rechtsprechung voneinander unterschieden und praktiziert werden können. In der segmentären (tribalen) Gesellschaft war die Gesellschaft nach Familien und Stämmen differenziert. Begünstigung von Freunden bzw. Benachteiligung von Feinden waren naheliegend gewesen. In der stratifizierten Gesellschaft, die über Schrift verfügte, war die Gesellschaft in Schichten wie Adel...2023-08-1758 minLuhmaniacLuhmaniac68. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 297, K07, IStart des 7. Kapitels über „Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem“. Im Rechtssystem bilden die Gerichte ein Teilsystem, auch Subsystem genannt. Subsysteme gehen auf interne Differenzierungen des Systems zurück. Welche Formen von interner Differenzierung es gibt, ist eine der ersten Fragen dieses Kapitels. Zu Beginn stellt Luhmann die Hypothese auf, dass die Ausdifferenzierung von Kommunikationssystemen eine gleichzeitig verlaufende interne Differenzierung erfordert. Ein umfassendes Rechtssystem kann demnach nur entstehen, wenn die Kommunikation über Recht anfängt, begriffliche Unterscheidungen einzuführen, z.B. zwischen Rechtsprechung, Rechtsetzung und Rechtsbeistand. Die Kommunikation differenziert sich aus. Dass sie Unterschiede erkennt und bezeichnet, dürfte eine unverzicht...2023-07-0150 minLuhmaniacLuhmaniac67. Zusammenfassung Kap. 6 Evolution, Luhmann: Recht der GesellschaftSystemtheorie, Evolution und das Recht. Zusammenfassung des 6. Kapitels aus Niklas Luhmanns "Das Recht der Gesellschaft". Nach dem langen Kapitel über die Evolution, welches sich in unserem Podcast über mehr als 10 Episoden hin zog, versuchen wir eine Zusammenfassung zu geben und einen Überblick zu verschaffen.2023-06-052h 02LuhmaniacLuhmaniac66. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 294, K06, VIAbschluss des Evolutionskapitels: Das Rechtssystem hat nachweislich eine eigenständige Evolution durchlaufen und sich zu einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenziert. Aber sind deshalb auch seine soziale Bedeutung und „Größe“ gestiegen? Lässt die Evolution Prognosen zu? Diese Fragen muten seltsam an. Wie und woran sollte man die gesellschaftliche Bedeutung messen? Worauf sollte man die Systemgröße beziehen – auf die Bevölkerungszahl? Die Fragen könnten weder wissenschaftlich präzisiert werden, noch ergibt es Sinn, das Rechtssystem isoliert zu betrachten, ohne Gesellschaft und ohne andere Funktionssysteme, wie z.B. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung. Feststellen lässt sich, dass die Bedeutung von Funktionssys...2023-05-101h 01LuhmaniacLuhmaniac65. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 290, K06, VMit welchen Mechanismen bewältigen Funktionssysteme Komplexität? Selbst erzeugte Komplexität lässt sich reduzieren, indem man sie temporalisiert. Eine Entscheidung gilt nur noch solange, bis sie durch eine andere aufgehoben wird. Ein Beispiel dafür ist, dass es im Rechtssystem kein „ewiges“ Recht mehr gibt, sondern nur noch positives, menschgemachtes Recht. Und hier gilt: Neues Recht annulliert altes. Ein weiterer Mechanismus zur Bewältigung intern erzeugter Komplexität besteht darin, die Varietät der Operationen zu steigern. Das System lernt, mehr verschiedenartige Operationen durchzuführen. Der Nachteil ist: Die Redundanz sinkt. Entscheidungen sind zwangsläufig weniger konsistent; sie werden folglic...2023-03-061h 15LuhmaniacLuhmaniac64. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 286, K06, IIIWohin führt Evolution? Wie soll man das, was durch sie entsteht, bezeichnen? Diese Frage wird seit dem 18. Jh. unter dem Begriff des Fortschritts diskutiert. Bis heute ist „Fortschritt“ ein beliebtes Mindset, um Veränderung zu beschreiben. So steht der Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung von 2021 unter dem Titel: „Mehr Fortschritt wagen“. Luhmanns Evolutionstheorie verzichtet auf die Aussage, dass Evolution zu Fortschritt führen würde. Der Grund ist: Fortschritt impliziert eine Bewertung, nach der Evolution erstrebenswert und planbar wäre. Man müsste demnach nur anstreben, das Bestehende zu verbessern, z.B. durch Technik, Arbeitsteilung oder Spezialisierung. Die Evolution kennt jedoch keine M...2023-02-061h 24LuhmaniacLuhmaniac63. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 281, K06, IIIBis ins 17. Jh. blockiert das gesellschaftliche Problem allgegenwärtiger Gewalt die eigenständige Evolution des Rechts. Erst nachdem das politische System das Gewaltmonopol für sich beansprucht, kann es ein „öffentliches Interesse“ an Strafgesetzgebung behaupten und Strafverfolgung rechtlich durchsetzen. An der Lösung des Gewaltproblems sind Politik und Recht strukturell gekoppelt. Der III. Abschnitt hatte bereits gezeigt, dass die eigenständige Evolution des Rechts im 18./19. Jh. von der Ausdifferenzierung des politischen Systems vorangetrieben wurde. Die Anzahl und die Bandbreite der rechtlichen Operationen erhöhten sich dadurch. Nun fragt Luhmann, ob es noch tieferliegende gesellschaftliche Bedingungen gibt, die eine eigenständige Rechtsevolut...2023-01-201h 14LuhmaniacLuhmaniac62 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 278, K06, IIIIm 18./19. Jh. erhöht das Recht seine Varietät, weil es eine Vielzahl von Gesetzesänderungen infolge der Demokratisierung des politischen Systems abarbeiten muss. Gesetzgebung trifft auf Rechtsprechung: An diesem Punkt zeigt sich einmal mehr, wie unterschiedlich die Funktionssysteme auf Programmebene operieren. Die Politik verfolgt Ziele und legt Zweckprogramme auf, um ihre Ziele zu erreichen. Damit setzt sie Normen, die Anlass für Rechtskonflikte werden können. Das Recht operiert dagegen mit Konditionalprogrammen: Wenn der Fall gleich ist, dann wird er gleichbehandelt; wenn er ungleich ist, muss er ungleich behandelt werden. Dabei bezieht sich das Recht permanent auf sich selbst, d.h...2023-01-0353 minLuhmaniacLuhmaniac61 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 273, K06, IIIMit zunehmender Verschriftlichung des Rechts differenzierte sich auch die Rechtslehre im 18. Jh. aus. Um Problemlösungen auf der Grundlage von vorhandenem Recht widerspruchsfrei (konsistent) konstruieren zu können, systematisierte man Begriffe und achtete auf rechtsgeschichtliche Zusammenhänge (Kohärenz). Aus kleinen semantischen Abweichungen, deren Tragweite nie vorhersehbar ist, entwickelten sich so ganze Rechtsinstitute, wie z.B. das Haftungsrecht. Der evolutionäre Prozess setzt ein, wenn eine Variation sich bewährt, weil infolgedessen weitere Variationen an die jeweils vorherige anschließen können. Es kommt zur „Abweichungsverstärkung“: Die ursprüngliche Variation verstärkt sich, indem jede weitere Variation neue Anschlussmöglichkeiten biet...2022-10-241h 26LuhmaniacLuhmaniac60 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 268, K06, IIIDurch Neuinterpretation von vorhandenem Recht kann sich das Recht in einem Verfahren anlässlich eines Streitfalls punktuell ändern. D. h. durch Variation und Selektion in einzelnen Punkten transformiert es sich im Laufe der Zeit. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine zweckgerichtete Aktivität des Systems. Die Selbständerung ist die Konsequenz der Art und Weise, wie sich das Recht reproduziert, nämlich durch die laufende Entscheidung, ob eine vorgeschlagene Variation akzeptiert wird oder nicht. Das Recht erneuert sich also laufend. Darum ist die Entscheidung in einem Streit auch keine Entscheidung zwischen altem und „neuem“ Recht. Das neue Recht entsteht...2022-10-081h 26LuhmaniacLuhmaniac59 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 265, K06, IIIDie Erfindung des Verfahrens gehört zu den bedeutendsten evolutionären Errungenschaften des Rechtssystems. Zum entscheidenden Träger der eigenständigen Evolution des Rechtssystems wurde jedoch letztlich die juristische Argumentation. Die Form des Verfahrens gab vor, dass sich jede Argumentation fortan nur noch auf das Recht beziehen durfte. Damit verboten sich zugleich Ausflüge in nichtrechtliche Gefilde, wie sie zuvor üblich gewesen waren, z.B. die Argumentation mit Gott, Natur oder Moral, oder die Ad-hominem-Argumentation („Beweisrede zum Menschen“). Diese Entwicklung zu einem selbstrekursiven, sich allmählich operativ schließenden Funktionssystem war weder „planbar“ noch ist sie selbstverständlich. Sie stellt im Gegenteil eine...2022-09-1858 minLuhmaniacLuhmaniac58 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 261, K06, IIIUnter welchen evolutionären Bedingungen konnte sich das Recht zu einem operativ geschlossenen Funktionssystem ausdifferenzieren? Welche Unwahrscheinlichkeiten mussten überwunden werden? Die wohl grundlegendste Bedingung ist, dass unerwartete normative Erwartungen überhaupt kommuniziert werden. Erst Streit macht klar, dass es unterschiedliche Erwartungen gab. Es entsteht ein Bedarf nach Schlichtung. Je öfter Schlichtung praktiziert wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich damit Erwartungen an eine „endgültige Klärung“ herausbilden, an der sich auch Unbeteiligte in Zukunft orientieren können. Dabei ist Konsens gerade kein Merkmal des Rechts. Es geht im Gegenteil darum, gerade weil es Dissenz gibt, eine Form zu finden, die es ermöglic...2022-08-031h 05LuhmaniacLuhmaniac57 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 257, K06, IIIIm vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, dass die Stabilisierung des Rechtssystems durch Verschriftlichung ermöglicht wird, die Variation wiederum durch Interpretation. Sowohl Sprache als auch Schrift sind selbst Produkte einer Evolution. Wenn wir also Mechanismen der Evolution untersuchen, müssen wir berücksichtigen, dass auch „die Bedingungen der Evolution ein Produkt der Evolution“ (S.257) sind. Etwas unvermittelt wirft Luhmann die Forderung ein, dass die „Geschichtlichkeit der Geschichte“ berücksichtigt werden müsse. Dies interpretieren wir so, dass Geschichte immer an den Zeithorizont einer Gegenwart gekoppelt ist, welche sie selbst durch das Reflektieren der Geschichte (Vergangenes) zu einer flüchtigen Gegenwart macht, also die Bedin...2022-07-121h 24LuhmaniacLuhmaniac56 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 251, K06Im I. Abschnitt hatte Luhmann Darwins Evolutionsschema von der Biologie auf soziale Systeme übertragen: Variation betrifft die Elemente: Ein Element in der Kommunikation bietet ein neues Reproduktionsmuster an. Z.B. eine neuartige Auslegung eines Gesetzestextes. Selektion betrifft die Strukturen: Die Kommunikation entscheidet, ob sie die Variation annimmt oder ablehnt. Wird die veränderte Interpretation akzeptiert, reproduziert sich das System nach dem neuen Muster. (Andernfalls nicht). Stabilisierung betrifft das gesamte System: Je nachdem, wofür sich die Kommunikation entschieden hat, reproduziert sich das System künftig nach dem veränderten Muster. (Oder wie gehabt.) Es gilt im Folgenden zu klären, was ge...2022-06-202h 01LuhmaniacLuhmaniac55 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 245, K06Im I. Abschnitt hatte Luhmann Darwins Evolutionsschema von der Biologie auf soziale Systeme übertragen: Variation betrifft die Elemente: Ein Element in der Kommunikation bietet ein neues Reproduktionsmuster an. Z.B. eine neuartige Auslegung eines Gesetzestextes. Selektion betrifft die Strukturen: Die Kommunikation entscheidet, ob sie die Variation annimmt oder ablehnt. Wird die veränderte Interpretation akzeptiert, reproduziert sich das System nach dem neuen Muster. (Andernfalls nicht). Stabilisierung betrifft das gesamte System: Je nachdem, wofür sich die Kommunikation entschieden hat, reproduziert sich das System künftig nach dem veränderten Muster. (Oder wie gehabt.) Es gilt im Folgenden zu klären, was ge...2022-06-081h 27LuhmaniacLuhmaniac54 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 239, K06Start des 6. Kapitels über die Evolution des Rechts: Ist innerhalb von autopoietischen Systemen eine Evolution möglich? Und wenn ja: Wie verläuft diese konkret? Die Einführung untersucht, inwiefern sich Darwins Evolutionstheorie und ihr Schema Variation/Selektion/Stabilisierung von der Biologie auf ein soziales System wie das Recht übertragen lässt. Also auf ein System, das durch Kommunikation operiert, und das alle Elemente, aus denen es besteht, selbst reproduziert (Autopoiesis). Zu diesem Zweck überträgt Luhmann das Darwin-Schema auf Grundbegriffe seiner Systemtheorie und präzisiert wie folgt: Variation betrifft die Elemente: Ein Element (in der Kommunikation) variiert und weicht vom bishe...2022-06-011h 20LuhmaniacLuhmaniac53 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 233, K05Als Form blieb die Unterscheidung Gleichheit/Ungleichheit über Jahrtausende unverändert. Was jedoch als gleich/ungleich gilt, hat sich historisch gewandelt. Ausschlaggebend hierfür waren mehrfache Wechsel der gesellschaftlichen Differenzierungsformen (segmentär, ständisch, funktional) sowie die Weiterentwicklung von Erkenntnistheorien. Um zu veranschaulichen, worauf der Gerechtigkeitsbegriff der modernen Gesellschaft aufbaut, führt Luhmann nochmals das Naturrecht an. Naturrecht ging davon aus, dass alle Dinge von Natur aus gleich oder ungleich sind. Die Erkenntnis richtete sich nach den Gegenständen. Dem Menschen, der die Dinge beobachtet, offenbart sich ihr „Wesen“ (durch Beobachtung erster Ordnung). Es tritt in „Erscheinung“. Streitigkeiten klärten Autoritäten durc...2022-04-031h 24LuhmaniacLuhmaniac52 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 226, K05Im Rechtssystem bedeutet Gerechtigkeit konsistentes Entscheiden: Es operiert mit Konditionalprogrammen und behandelt gleiche Fälle gleich sowie ungleiche Fälle ungleich. Im Gegensatz dazu operiert das Politiksystem mit Zweckprogrammen. Die Wahl der Mittel wird mit dem Zweck legitimiert. Der Gesetzgeber kann gleiche Fälle ungleich behandeln. An dieser Stelle stellt sich darum die Frage, ob es überhaupt eine übergreifende Definition von Gerechtigkeit geben kann, die den widersprüchlichen Umgang mit Gleichheit in Rechts- und Politiksystem auf einen Nenner bringt. Als Ausweg schlägt Luhmann vor, die Kontingenzformel Gerechtigkeit ausschließlich auf das Entscheidungssystem des Rechts, die Gerichte, anzuwenden. Denn nur Gerichte...2022-03-211h 04LuhmaniacLuhmaniac51 . Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 226, K05Um die historische Entwicklung des Gerechtigkeitsbegriffs nachzuvollziehen, muss die jeweils zugrundeliegende gesellschaftliche Differenzierungsform mitbedacht werden. Ob die Gesellschaft tribal, ständisch oder funktional differenziert ist, bildet jeweils die Bedingung der Möglichkeit dafür, ein Verständnis von Recht und Gerechtigkeit zu entwickeln. In tribalen (segmentären) Gesellschaften war Reziprozität die praktizierte Norm. Die Gesellschaft war nach Familien, Stämmen und Verbänden in gleichwertige Gruppen differenziert. Diese unterstützten sich gegenseitig, vor allem durch Produktionsüberschüsse – gleichsam die Sozialversicherung jener Zeit. Gaben hatten eine wichtige Funktion: Geber und Empfänger wissen beide voneinander, dass beide voneinander wissen, dass der Empfä...2022-03-091h 01LuhmaniacLuhmaniac50. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 223, K05Gerechtigkeit wird traditionell oft mit Gleichheit gleichgesetzt: Gleiche Behandlung in gleichen Fällen leuchtet als gerechte Behandlung ein. Gleichbehandlung lässt sich zudem durch Regeln formulieren, d.h. man kommt damit auf eine operative Ebene, die praktisch handhabbar ist. Doch damit ist noch nicht definiert, was Gerechtigkeit ist. Erst der Begriff der Gleichheit komplettiert die Kontingenzformel Gerechtigkeit: Bei der Unterscheidung von Recht/Unrecht müssen ungleiche Fälle logisch ungleich behandelt werden. Die normative Unterscheidung gleich/ungleich lässt sich wiederum der Unterscheidung unterwerfen, ob die Zuordnung richtig/falsch erfolgt, also rechtens ist. Tatsächlich ist Gleichheit ebenso wie Gerechtigkeit kein W...2022-02-1354 minLuhmaniacLuhmaniac49. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 218, K05Warum die Idee der Gerechtigkeit als „Kontingenzformel“ zu verstehen ist. Kontingenz bedeutet zunächst ganz allgemein: Es kann auch anders kommen. Eine Enttäuschung im Einzelfall ändert jedoch nichts an der normativen Erwartung. In der Theorie sozialer Systeme ersetzt der Begriff Kontingenzformel eine Reihe althergebrachter Kategorien, mit denen Gerechtigkeit bisher oft definiert wurde: Wert, Prinzip, Idee, Tugend. Der Begriff ersetzt diese Kategorien jedoch nicht vollständig. Stattdessen müssen zwei Perspektiven unterschieden werden. Aus der internen Perspektive des Rechtssystems ist Gerechtigkeit zweifellos die oberste Norm: Alle Entscheidungen sollen Gerechtigkeit schaffen. Diese Norm stellt für das System durchaus einen Wert dar, man k...2022-01-271h 16LuhmaniacLuhmaniac48. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 214, K05Start des 5. Kapitels über die „Kontingenzformel Gerechtigkeit“. Was ist Gerechtigkeit? Lässt sich das überhaupt abschließend definieren? Um das Problem einzukreisen, limitiert Luhmann das Spektrum möglicher Fragen. Er führt Unterscheidungen ein und legt dadurch fest, welche Fragestellungen er weiterverfolgen will und welche nicht. Das Ergebnis fasst er am Abschnittsende auf Seite 218 zusammen. 1. Offenbar handelt es sich bei dem Begriff Gerechtigkeit um Selbstreferenz als Beobachtung. Diese ist zu unterscheiden von Selbstreferenz als Operation. Als Operation bedeutet Selbstreferenz, dass sich das Rechtssystem in der Kommunikation auf seinen binären Code bezieht, indem es zwischen Recht und Unrecht unterscheidet. Als Beobachtung...2022-01-091h 28LuhmaniacLuhmaniac47. Rueckblick Kapitel 4: Codierung und ProgrammierungAuch für diese Episode gibt es einen ausführlichen Begleittext, der dieses mal jedoch etwas umfangreicher ist und deshalb nur auf unserer Website erscheint: https://www.luhmaniac.de/podcast/rueckblick-kapitel-4-codierung-programmierung2021-12-181h 12LuhmaniacLuhmaniac46. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 211, K04Wie das Rechtssystem mit Verfahren seine operative Geschlossenheit und Eigenzeitlichkeit stabilisiert. Der letzte Abschnitt des 4. Kapitels hebt hervor, dass Produktion und Struktur des Rechtssystems zwar analytisch als zwei Operationen auseinandergehalten werden können. Empirisch sind sie jedoch nicht voneinander zu trennen. Das System produziert Recht und gleichzeitig Kommunikationsstrukturen. Die Zeitdimension spielt dabei eine herausragende Rolle. Wie der vorige Abschnitt zeigte, verschafft sich das System durch Verfahren die Zeit, die es braucht, um zu einer Entscheidung zu kommen. Mit der Eröffnung eines Verfahrens wird Ungewissheit erzeugt, die im Verlauf des Verfahrens reduziert und zum Abschluss des Verfahrens ganz negiert wird. Mi...2021-11-211h 01LuhmaniacLuhmaniac45. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 207 K04Warum das Verfahren zu den bedeutendsten evolutionären Errungenschaften zählt. Durch Programme verschafft sich das Rechtssystem Zeit, die es benötigt, um die Code-Werte Recht/Unrecht zuzuorden. Dies geschieht in der Form eines Verfahrens. Verfahren sind durch Anfang und Ende markiert. Die rein logische Unterscheidung von Recht/Unrecht wird damit temporalisiert: Die Entscheidung wird in die Zukunft verlagert. Es handelt sich um selbsterzeugte Ungewissheit, wie das Verfahren ausgehen wird („Schleier des Nichtwissens“, Rawls) bei gleichzeitiger Zuversicht, dass es zu einer Entscheidung kommen wird. (Unter Entscheidung verstehen wir an dieser Stelle: Urteil.) Die Ungewissheit des Verfahrensausgangs bedeutet einen dritten Wert für das...2021-10-311h 17LuhmaniacLuhmaniac44. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 204 K04Über das Verhältnis von Codes und Programmen in Funktionssystemen: Die Paradoxie, dass die Differenz des Codes Recht/Unrecht eine Einheit bildet und für sich proklamiert, Recht zu sein, tritt in den Programmen wieder zutage und befruchtet die Weiterentwicklung des Rechts. Codes und Programme ergänzen einander. Für sich genommen, sind die invarianten Codes der Funktionssysteme noch „leer“. Allein mit der Unterscheidung von Recht/Unrecht kann man keinen Sinn erzeugen, solange ein Bezugspunkt fehlt, ein konkreter „Fall“. Das System könnte weder wachsen noch sich verändern. Woran sollte es seine Autopoiesis vollziehen? Durch Konditionalprogramme definiert das Rechtssystem daher Wenn-Dann...2021-10-1046 minLuhmaniacLuhmaniac43. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 199 K04Das Rechtssystem operiert grundsätzlich nur auf Basis von Konditionalprogrammen, nicht von Zweckprogrammen. Das ist auf die typische Art der zeitlichen Modalisierung in der Rechtskommunikation zurückzuführen, die sich aus der Verwendung des Rechtscodes Recht/Unrecht ergibt. Zweckprogramme intendieren jeweils die Erfüllung eines Zweckes - wobei die Erfüllung als Erwartung zeitlich notwendigerweise in der Zukunft liegt. Zweckprogramme implizieren ebenfalls als künftige Verhaltenserwartung die Suche und den Einsatz geeigneter Mittel, sind also offen bezogen auf die Wahl der Mittel. Konditionalprogrammen liegt eine Kontrollfunktion zugrunde, welche sich in „Wenn-Dann-Beziehungen“ ausdrückt. Ihnen mögen ebenfalls künftige Erwartungen in Form von Z...2021-09-261h 19LuhmaniacLuhmaniac42. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 195 K04Warum gibt es im Rechtssystem nur Konditionalprogramme, keine Zweckprogramme? Der wichtigste Grund ist: Nur durch Wenn-dann-Bedingungen kann das System in der Kommunikation laufend zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden. Selbstreferenz heißt, das System bezieht sich auf sich selbst. Die Kommunikation unterscheidet zwischen Recht und Unrecht. Alle Fakten werden darauf limitiert, ob sie sich dem Code zuordnen lassen. Fremdreferenz bedeutet, die Kommunikation bezieht sich auf die Umwelt – aber nur, um rechtsrelevante externe Fakten herauszufiltern. Diese behandelt das System dann wieder strikt nach systeminternen Normen. Insofern sind operativ geschlossene Systeme der Umwelt gegenüber kognitiv offen. Nur Konditionen machen es möglich, immer...2021-09-091h 30LuhmaniacLuhmaniac41. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 191 K04Funktionssysteme wie Recht, Politik oder Wirtschaft operieren mit zweistelligen Codes, die kompromisslos sind und darum unversöhnlich wirken: Es gibt nur Recht oder Unrecht, Regierungsmacht oder Machtlosigkeit der Opposition, zahlen oder nicht zahlen – kein Dazwischen. Anders ist es auf der Programmebene. Erst durch Programme können Systeme ihr Verhältnis zur Gesellschaft gestalten und soziale Probleme ggf. abfedern. Programme interpretieren den Code. Durch Wenn-dann-Bedingungen (Konditionen) legen sie fest, wie in welchem Fall zu entscheiden ist. Die Binarität des Codes zwingt dazu, die Möglichkeit, sich für die andere Seite zu entscheiden, stets mit zu durchdenken. Kurz, durch Programme reintegr...2021-08-171h 27LuhmaniacLuhmaniac40. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 187 K04Ein Code allein macht noch kein Funktionssystem aus. Erst mit der „Zusatzsemantik“ von Programmen kann sich ein System an die Umwelt anpassen. Binäre Codes wie die Unterscheidung von Recht und Unrecht sind nicht einfach nur Prinzipien. Sie sind die leitende Unterscheidung, an der sich alle Operationen des Systems orientieren (auch Leitdifferenz genannt). Dennoch reicht ein Code nicht aus, um das System zu reproduzieren. Der Grund ist, dass Codes nicht variabel sind. Sie stehen fest. Weder zeitlich noch sachlich können sie an die Umwelt „angepasst“ werden. Zeitlich ist der Code invariant. Er ist bereits das „Ergebnis“ einer evolutionären Entwicklung in...2021-07-261h 07LuhmaniacLuhmaniac39. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 182 K04Die Rationalitätskonstrukte der funktional ausdifferenzierten Systeme funktionieren deshalb so gut, weil sie die zweiwertige Logik verwenden. Zweiwertige Systemcodes wie Recht/Unrecht entfalten permanent ihre eigene Paradoxie: Zwei gegensätzliche Werte, die einander strikt ausschließen, repräsentieren die Einheit des Systems. Sie sind gleichzeitig relevant, können jedoch nie gleichzeitig benutzt werden. Sie können ihre Unterscheidung in sich selbst einführen (re-entry) und sich damit selbst begründen: Es kann rechtmäßig begründet werden, warum etwas Recht oder Unrecht ist. Ebenso kann die Unterscheidung zwischen Zahlung/Nichtzahlung in der Wirtschaft mit Zahlen belegt werden. Die Wissenschaft kann nicht gleic...2021-07-051h 13LuhmaniacLuhmaniac38. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 177 K04Wie unterscheiden sich unmarked state und unmarked space? Das veranschaulicht die Recht/Unrecht-Differenz: Recht und Unrecht werden voneinander unterschieden. Beide Seiten der Unterscheidung werden jeweils als Zustand markiert (marked state). Diese Unterscheidung wird dann aber nicht als Einheit des Unterschiedenen in die Umwelt eingeführt, sondern als Unterscheidung. Die Umwelt ist begrifflich gar nicht Teil der Unterscheidung, sie ist das ausgeschlossene Dritte. Weder ihre räumliche Existenz noch ihr Zustand werden mit dem Code mitbezeichnet. Sie existiert natürlich trotzdem, aber eben nur als unmarked space. Sie ist der nicht bezeichnete Raum, in den hinein die Unterscheidung als Unterscheidung gezogen wir...2021-06-131h 03LuhmaniacLuhmaniac37. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 174 K04Auf praktischer Ebene ist der binäre Code Recht/Unrecht einfach zu handhaben. Der eine Wert negiert den anderen: Es gibt kein ausgeschlossenes Drittes, nur entweder/oder. Der Code kann nur als Unterscheidung praktiziert werden. Dahinter stehen jedoch komplizierte logische Strukturen, die in der Theorie sozialer Systeme als re-entry bezeichnet werden. Der mathematische Begriff geht auf George Spencer Brown („Laws of Form“) zurück und bezeichnet den Wiedereintritt einer Form in die Form. Übertragen auf Kommunikation heißt re-entry: Die Unterscheidung von Recht und Unrecht erzeugt eine Form. Denn durch das Einziehen dieser Differenz (Grenze, Linie, Schnitt) wird ein Raum in zwei...2021-05-221h 04LuhmaniacLuhmaniac36. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 170 K04Die Regelung von Schuldverhältnissen (obligatio: Verpflichtung) entwickelte sich im Römischen Zivilrecht zu einer der wichtigsten Kategorien. Die Entstehungsanlässe dürften Delikte und Verträge gewesen sein, die als Unrecht empfunden wurden. Folglich bedurfte es einer klaren Trennung zwischen Recht und Unrecht. Einmal vorhanden, wurde diese scharfe Unterscheidung im Lauf der Geschichte in Europa auf immer mehr Fragen angewendet. Die ursprüngliche Paradoxie des Rechts jedoch blitzte immer wieder durch. Sie konnte erst durch Konditionalprogramme aufgelöst werden. Dafür zwei Beispiele. Beispiel eins ist die Figur des Risikos. Wenn rechtmäßiges Verhalten einen Schaden erzeugt, kann das Verhalten...2021-05-0151 minLuhmaniacLuhmaniac35. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 165 K04Start des 4. Kapitels über Codierung und Programmierung. Das 3. Kapitel hatte die soziale Funktion des Rechts herausgearbeitet. Diese besteht in einer kontrafaktischen Stabilisierung von normativen Verhaltenserwartungen. Nun geht es nun um die Frage: Woran orientiert sich das Rechtssystem bei seiner Entscheidungsfindung, ob etwas Recht oder Unrecht ist? Anstatt von vorhandenen Kommunikationsstrukturen auszugehen, stellt die Theorie sozialer Systeme die Frage: Wie entwickeln Systeme Strukturen? Bzw. wie haben sie diese entwickelt? Die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht war nicht immer schon da. Sie hat eine Evolutionsgeschichte. Wo ist der logische Ausgangspunkt? Die Strukturbetrachtung ersetzt Luhmann im Folgenden durch die Unterscheidung von Codes und P...2021-04-181h 16LuhmaniacLuhmaniac34. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 159 K03So wenig wie Verhaltenssteuerung die soziale Funktion des Rechts ist, verhält es sich mit der Konfliktregulierung: Beides ist nur eine Leistung. Das Recht kann ohnehin nur rechtlich konstruierbare Konflikte um das Recht lösen. Psychische Motive oder die Frage, wer einen Streit angefangen hat, bevor er zum Rechtsstreit wurde, bleiben unberücksichtigt. Dass ein Konflikt zum Rechtskonflikt wird, ist die Ausnahme. Nicht rechtsrelevante Konflikte, die durch ein Verfahren und das Urteil nicht erfasst werden, sind entsprechend auch nicht durch Recht kontrollierbar. Sie existieren einfach weiter. Das Recht kann nicht über den Gegenstand des Rechtsstreites hinaus regeln, ob z.B. eine...2021-04-021h 14LuhmaniacLuhmaniac33. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 153, K. 03S. 153 bis S. 159 (Zeile 2) Die Frage, welche Funktion das Recht für die Gesellschaft hat, führt zu dem allgemeinen Problem, dass abstrakte Begriffe häufig unanalysiert übernommen werden, was zu falschen Schlussfolgerungen führt. Der Begriff der Funktion wird als bekannt vorausgesetzt, anstatt ihn zu hinterfragen und zu definieren. Diese Ungenauigkeit führt dazu, dass der Funktionsbegriff zu weit gefasst wird. Häufig zieht man einen Geschichtsvergleich. Man beruft sich auf einen willkürlichen Zeitpunkt in der Vergangenheit, in der das Recht bestimmte Ordnungsleistungen zu erfüllen schien, und vergleicht dann mit der Gegenwart, um einen Funktionsverlust zu unterstellen. Diese Vor...2021-03-071h 08LuhmaniacLuhmaniac32. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 150, K. 03Welche Konsequenzen hat es, dass das Recht seine Funktion in normativer Form ausübt? Die wichtigste ist: Recht und Politik differenzierten sich und wurden autonome Funktionssysteme. Da sie jedoch aufeinander angewiesen sind, stellt sich die Frage, inwiefern die Systeme „zusammenhängen“. Insbesondere der Begriff Rechtsstaat verwirrt hier. Er verkettet in der Tat Recht mit Politik. Die Autonomie der Systeme lässt sich jedoch gut erkennen, wenn man sich fragt, welches symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium sie jeweils benutzen. Medien sind lose gekoppelte Elemente, die vorübergehend eine feste Kopplung eingehen können. Wird ein Text diskutiert, koppelt sich Kommunikation an Kommunikation. Undiskutiert handelt e...2021-02-091h 27LuhmaniacLuhmaniac31. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 147, K. 03Lässt sich empirisch feststellen, auf welcher Grundlage das „organisierte gerichtliche Entscheidungssystem“ des Rechts seine Funktion für die Gesellschaft ausübt? Luhmann verweist auf einen Doppeleffekt durch die doppelte Modalisierung des Rechts. Einerseits entstand das System aus den normativen Erwartungen der Gesellschaft heraus. Andererseits verliert ein System, das sich operativ schließt, zwangsläufig den Konnex zur „Basis“. Ein Gericht braucht keine Rückversicherung mehr, was der „Wille der Gesellschaft“ ist. Es operiert nach internen Normen. Anders gesagt: Einerseits koppelt die Gesellschaft ihre Erwartungen an ein Funktionssystem. Andererseits kommt es genau dadurch zur Entkoppelung: Das System berücksichtigt nur Erwartungen mit rec...2021-01-2450 minLuhmaniacLuhmaniac30. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 143, K. 03Wie realisiert das Rechtssystem seine gesellschaftliche Funktion einer kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen? Und ist das empirisch nachweisbar? Die Theorie sozialer Systeme geht zunächst davon aus, dass sich Systeme selbst von ihrer Umwelt unterscheiden. Sie erzeugen eine System-Umwelt-Differenz, indem sie eine spezifische Differenz in die Umwelt hineinzeichnen. Zudem operieren sie nach internen Normen, die nur in diesem System gelten und nirgendwo sonst. Beobachtbar ist, dass sich das Rechtssystem auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung selbst steuert. Es beobachtet sich selbst dabei, wie es zwischen normativen und kognitiven Erwartungen unterscheidet. Auf diese Weise bestimmt sich das System selbst. Es operiert d...2021-01-091h 04LuhmaniacLuhmaniac29. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 137, K. 03Normative Erwartungen gibt es auch ohne Rechtsqualität, z.B. Sitten, Gewohnheiten und Moral. Doch damit lässt sich keine Rechtsnorm begründen. Die Argumentation wäre von beliebigen Standpunkten abhängig, die sich jederzeit ändern können – und vor allem: mit im Recht geltenden Normen nicht herzuleiten. Ob eine Norm eine rechtliche Norm ist, lässt sich feststellen, indem man das Kommunikationsnetzwerk beobachtet, in dem diese Erwartung entstand. Ein System wie das Recht unterscheidet permanent zwischen normativen und kognitiven Erwartungen. Letztere gelangen durch Beobachtung der Umwelt als externe Fakten ins System und werden dort nach internen Normen bearbeitet. Eine Rechtsnorm...2020-12-261h 23LuhmaniacLuhmaniac28. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 131, K. 03Anstatt eine sachliche Definition des Rechts auf der Ebene konkreter Themen und Inhalte zu suchen, fragt die Theorie sozialer Systeme, welche Funktion das Recht für die Gesellschaft einnimmt. Hier landet man bei dem Faktor Zeit. Die Funktion des Rechts besteht darin, normative Erwartungen an die Zukunft zu stabilisieren. Was erwartbar ist, wird rechtlich verallgemeinert und reguliert. Es gilt, bis es aufgehoben wird. Sowohl in der Sozial- als auch in der Sachdimension erhöht sich so die Erwartungssicherheit. Dabei geht die Theorie sozialer Systeme davon aus, dass ein Funktionssystem nur eine Funktion erfüllt. Gerade die Beschränkung hat dazu gefü...2020-12-031h 18LuhmaniacLuhmaniac27. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 128, K. 03Welche Funktion hat das Recht für die Gesellschaft? Zuvor hatte Luhmann bereits erklärt, warum die Sozialdimension sich nicht eignet, um daraus eine Funktion wie „Integration“ abzuleiten. Denn das hieße: Es käme zu jeder Zeit eine andere Definition dabei heraus. Die Hypothese lautet: Das Recht löst ein Zeitproblem. Dieses besteht darin, dass die Zukunft ungewiss ist. Die Funktion besteht darin, diese Unsicherheit partiell zu absorbieren. Dank rechtlicher Normen kann man Erwartungen formulieren. Wie geschieht das? Durch Wiederholung von rechtlicher Semantik werden Normen bestätigt und verdichtet. So entstehen normative Erwartungen und sprachliche Normen. Dissenz über „korrekte“ Bezeichnungen t...2020-11-151h 13LuhmaniacLuhmaniac26. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 124, K. 03Nachdem Luhmann im vorigen Kapitel nachgewiesen hat, dass das Recht ein operativ geschlossenes Funktionssystem ist, untersucht er nun, welche Funktion das Recht für die Gesellschaft hat. Gesellschaft ist hierbei als empirisch beobachtbares Einzelsystem zu verstehen. D.h. als ein System, in dem Kommunikationen nachweisbar sind, in denen es um die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht geht. Die Frage lautet, für welches Problem der Gesellschaft das Recht die Lösung ist. Die Bezugnahme auf Gesellschaft schließt zugleich andere Fragestellungen aus: Es geht nicht um die Funktion für „den Menschen“ oder für „das Bewusstsein“ (anthropologische und psychologische Fragestellunge...2020-09-271h 09LuhmaniacLuhmaniac25. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 117, K. 02Welche strukturellen Bedingungen waren ausschlaggebend, damit sich das Rechtssystem operativ schließen konnte? Luhmann hebt die Spezifikation rechtlicher Erwartungen und die Aussicht auf Rechtsdurchsetzung hervor Eine Spezifikation von Erwartungen erfolgt durch Kommunikation. Sinn wird wiederholt, bestätigt und verdichtet. So wird die Erwartung anschlussfähig für andere Situationen. Inwiefern es dazu kommt, ist jedoch eine Frage des Gedächtnisses der Gesellschaft. Solange man nur mündlich kommunizieren konnte, war man auf Erinnerungsvermögen und Vortragsfähigkeiten angewiesen. Erinnern bzw. Vergessen erfolgte eher zufällig, es war vom psychischen System abhängig und schwer einzuschätzen. Schrift schuf hier Abhilfe. (Gemeint ist...2020-09-131h 57LuhmaniacLuhmaniac24. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 110, K. 02as Gleichheitsprinzip im Recht besagt, dass gleiche Fälle gleich und ungleiche Fälle ungleich behandelt werden – nach systeminternen Normen. „Gleichheit“ ist maximal abstrakt: Wenn etwas gleich ist, ist dies evident. Es kann nicht tiefer hinterfragt werden. Diese Gleichbehandlung erstreckt sich auf alle Fälle, denn auch ungleiche Fälle werden gleichermaßen ungleich behandelt. Auf diese Weise vollzieht das Recht seine Autopoiesis und erzeugt Gerechtigkeit. Nach „Rechtsgeltung“ ist das Gleichheitsprinzip somit ein weiterer Ausdruck für die operative Geschlossenheit des Rechtssystems gegenüber seiner Umwelt. Gleichheit/Ungleichheit ist eine Zwei-Seiten-Form. Beide Werte bedingen sich gegenseitig. Eine Präferenz ist darin nicht enthal...2020-08-311h 17LuhmaniacLuhmaniacÜber das Böse - Luhmaniac Special zu Hannah ArendtHANNAH ARENDT 1965: Über das Böse 1965 hielt Hannah Arendt in New York eine Vorlesung über Moralphilosphie. Darin arbeitete sie ihre Erfahrung als Berichterstatterin beim Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem auf. Den Schwerpunkt richtete sie auf Fragen, die individuelles Verhalten betreffen, auf die wenigen Regeln und Normen, aufgrund derer Menschen gewöhnlich Recht von Unrecht unterscheiden. Es sind dies die Regeln, die zu Hilfe gerufen werden, um Andere und sich selbst zu beurteilen oder zu rechtfertigen und die für jede normale Person als Teil göttlichen oder natürlichen Gesetzes selbstverständlich gültig waren. Bis all dies zusammenbrach. Plötzlich...2020-08-151h 06LuhmaniacLuhmaniac23. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 104, K. 02Zuletzt hat Luhmann gezeigt, dass Rechtsgeltung ein Symbol ist, das die Einheit des Rechtssystems erzeugt. Sie ist keine Norm, sondern die Form, in der das System seine Operationen sich selbst zuordnet. Nun fügt Luhmann den Faktor Zeit hinzu. Warum „Rechtsgeltung“ nur zeitlich zu verstehen ist, erschließt sich durch das Formkalkül („distinction and indication“) von George Spencer Brown. Zugrunde liegt der Gedanke, dass man, um etwas bezeichnen zu können, es von allem anderen („unmarked space“) unterscheiden muss. Indem man etwas bezeichnet, zieht man eine Grenze zwischen dem Bezeichnetem und dem Rest. Diese Grenze ist als Form zu verstehen, bildl...2020-07-311h 36LuhmaniacLuhmaniac22. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 098, K. 02Was ist Rechtsgeltung? Frühere Vorstellungen, es gäbe ein überpositives Recht, das dem menschgemachten Recht Geltung verschaffe, sind wissenschaftlich nicht haltbar. Rechtsgeltung ist ein Symbol, das die Einheit des Rechtssystems erzeugt. Es hat die Funktion, die Operationen (die Unterscheidung von Recht/Unrecht) zu verknüpfen. Dies geschieht, indem es auf geltendes Recht verweist, auf sich selbst. Der Symbolgehalt betrifft nur die Akzeptanz der Kommunikation: „Geltung“ verschafft Anschlussfähigkeit. Erl.: Damit ist „Rechtsgeltung“ ein Symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium (SGK). SGK sind Strukturen, die die Erfolgswahrscheinlichkeit von Kommunikation generell erhöhen, unabhängig von der Situation. Es handelt sich um binäre Codes (Geld/kein...2020-07-201h 35LuhmaniacLuhmaniac21. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 092, K. 02Über Codes und Programme, Chancen für Protestbewegungen, Verfassungsrecht und normative Wertbegriffe. Zusätzliche Anmerkungen findet ihr auf unserer Website www.luhmaniac.de! U.a. zu Armin Nassehis Buch „Muster – Theorie der digitalen Gesellschaft“ und zum Begriff „Pluralismus” im System der Massenmedien. Das Rechtssystem unterscheidet zwischen internen Normen und externen Fakten. Durch den ständigen Wechsel zwischen Selbst- und Fremdreferenz unterscheidet es wiederum sich selbst von der Umwelt. Es handelt sich um zwei nicht identische Unterscheidungen. Die Kommunikation löst dabei die gleichzeitige Existenz von System und Umwelt in eine nacheinander erfolgende Bezugnahme auf. Durch Referenz auf den Code Recht/Unrecht vollzie...2020-06-221h 20LuhmaniacLuhmaniac20. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 087, K. 02Wie gelangt Expertenwissen aus der Umwelt ins System? Wie kann das System dabei autonom bleiben? Im Recht spielt die Unterscheidung der Leitdifferenz (Recht/Unrecht) eine größere Rolle als in jedem anderen System. Um konsistent zu entscheiden, wird zwischen internen Normen und externen Fakten unterschieden. Erkennbar ist dies am Wechsel zwischen Selbst- und Fremdreferenz: Bei Selbstreferenz bezieht sich die Kommunikation auf rechtsinterne Normen. Bei Fremdreferenz bezieht sie sich auf Ereignisse in der Umwelt, die mittels Kognition ermittelt werden. Auch hierbei handelt es sich um eine interne Operation. Diese Zwei-Seiten-Form ist auf beiden Seiten anschlussfähig: Die Normenstruktur wird komplexer, aber auc...2020-06-011h 19LuhmaniacLuhmaniac19. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 083, K. 02Wie kein anderes System repräsentiert sich das Recht in allen seinen Operationen durch die Unterscheidung zwischen Normen und Fakten. Kommunikation ist ein ständiger Wechsel zwischen Selbst- und Fremdreferenz. Bei Selbstreferenz beobachtet das System sich selbst. Die Kommunikation nimmt Bezug auf interne Normen. Bei Fremdreferenz bezieht sich die Kommunikation auf die Umwelt. Das System zeigt sich kognitiv offen dafür, Fakten zu verarbeiten – und zu lernen. Beide Differenzen (Selbst-/Fremdreferenz und Geschlossenheit/Offenheit) lassen sich einander zuordnen. Logische Voraussetzung dafür, dass ein System überhaupt offen sein kann, ist die normative Geschlossenheit – denn ohne sie wäre das System gar kein S...2020-05-201h 13LuhmaniacLuhmaniac18. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 079, K. 02Welche Rolle spielt Moral im Rechtssystem? Und wie reagiert das Recht, wenn es durch Gewalt ausgehebelt wird? Im Rechtssystem ist konsistentes Entscheiden die oberste Norm: Gleiche Fälle müssen gleich und ungleiche Fälle ungleich beurteilt werden. Es wird normativ erwartet, dass dies so geschieht. Insofern ist das Rechtssystem normativ geschlossen. Zu den normativen Erwartungen gehört jedoch auch, dass es in der Lage ist, seine normativen Erwartungen zu ändern. Es wird erwartet, dass das Rechtssystem kognitiv offen und lernfähig ist. Insofern ist es auch für moralische Diskussionen offen. Dass etwas als unmoralisch beurteilt wird, löst jedoch k...2020-05-061h 12LuhmaniacLuhmaniacWas heißt hier "Systemrelevanz"? Luhmaniac - SpecialSystemrelevanz: Was ist das eigentlich? Wir retten Banken, weil sie „too big to fail” sind. Fridays For Future fordern „system change, not climate change”. Und in der Coronakrise erklärt die Gesellschaft ihr Klinikpersonal für systemrelevant. Drei globale Debatten – Zeit, sich das Schwurbelwort näher anzusehen. Welches System ist jeweils gemeint? Wessen Perspektive wird dabei eingenommen? Reden wir über das Gleiche? Eine Einordnung mithilfe der Theorie sozialer Systeme nach Niklas Luhmann. Dabei unterscheiden wir Kommunikationssysteme von Handlungssystemen. Luhmanns Theorie sozialer Systeme besagt, dass Gesellschaft durch Kommunikation evoluiert: Sie entwickelt sich durch Kommunikation. Ob zum Guten oder Schlechten, ist dahingestellt. In diesem Spec...2020-04-261h 26LuhmaniacLuhmaniac17. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 076, K. 02Das Verhältnis eines Systems zur Umwelt lässt sich in der Kommunikation beobachten: Bezieht sich die Kommunikation aufs System, auf die Umwelt oder auf deren Differenz? Außerdem: Welche Rolle spielt die Moral in Funktionssystemen? Das bisher gezeichnete Bild von operativer Geschlossenheit erweitert Luhmann nun um den Begriff der Umwelt. Systeme haben selbstverständlich Beziehungen zur Umwelt. Doch ihre Kommunikation mit der Umwelt produzieren sie autonom: in autopoietischer Geschlossenheit, nach ihren eigenen „Regeln“, die sich alle an der jeweiligen Leitdifferenz wie Recht/Unrecht orientieren. Insofern sind Systeme operativ geschlossen und offen zugleich. Die Geschlossenheit ist sogar Voraussetzung für die Offen...2020-04-191h 12LuhmaniacLuhmaniac16. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 070, K. 02Codes: Wie Funktionssysteme mithilfe einer Leitdifferenz ihre Einheit vollziehen. Alle Operationen im Rechtssystem richten sich an der Unterscheidung von Recht und Unrecht aus. Durch die Unterscheidung eines solchen binären Codes, der alle Operationen anleitet und darum auch Leitdifferenz heißt, vollziehen Funktionssysteme ihre Einheit in Form einer Differenz. Zugleich dient der Code dazu, sich operativ zu schließen, denn diese spezifische Unterscheidung kann nur das Rechtssystem vornehmen. Eine solche Unterscheidung kann nur auf der Ebene einer Beobachtung zweiter Ordnung erfolgen. Zweite Ordnung bedeutet: Wir beobachten einen Beobachter und rekonstruieren seine Beobachtung in einer neuen Beobachtung, der wir etwas Neues hin...2020-04-081h 20LuhmaniacLuhmaniac15. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 062, K. 02Nach der Erläuterung, was Autonomie in sozialen Systemen bedeutet, zeigt Luhmann auf, wie das Rechtssystem durch code-orientierte Kommunikation seine eigenen Grenzen zieht. Autonomie ist eine Konsequenz von operativer Geschlossenheit und nicht etwa gleichbedeutend damit. Der Begriff bezieht sich auf die Kommunikation des Systems und nicht, wie im Rechtsalltag üblich, auf Personen oder Institutionen, deren Unabhängigkeit (z.B. von der Politik) damit betont werden soll. Der in der Soziologie übliche Begriff von „relativer Autonomie“ ist hier eher verwirrend, weil er von Kausalbeziehungen, also von bestimmten externen Ursachen mit bestimmten internen Wirkungen ausgeht, ohne den Begriff selbst zu klären. Für eine...2020-03-221h 05LuhmaniacLuhmaniac14. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 058, K. 02Wie war es möglich, dass sich in der Gesellschaft einige wenige Funktionssysteme ausdifferenzierten? Welche Hindernisse musste dabei das Rechtssystem überwinden? Dieser Abschnitt führt zu den zwei wichtigsten Voraussetzungen für die Bildung von Funktionssystemen: funktionale Spezifikation und binäre Codierung. Soziale Systeme sind operativ geschlossen: Sie entscheiden autonom, welche Operation (Kommunikation) zum System gehört und welche nicht. Dabei sind sie in der Lage, ihren eigenen Output wieder als Input in das System einzuführen. Durch jede Operation verändern sie ihren Zustand. Gleichzeitig sind sie in gesellschaftliche Strukturen eingebettet und werden durch diese mitbestimmt. Das wirft die Frage au...2020-03-071h 09LuhmaniacLuhmaniac13. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 054, K. 02Der Theorieansatz, dass soziale Systeme durch Kommunikation operieren, hat weittragende Konsequenzen. Gesellschaft ist demzufolge das umfassende System aller Kommunikationen. Was nicht Kommunikation ist, gehört nicht zur Gesellschaft, sondern zur Umwelt (z.B. physikalische und psychische Sachverhalte). Zudem verändert die Theorie das Verständnis vom Verhältnis zwischen Gesellschaft und Rechtssystem. Als Subsystem operiert das Rechtssystem innerhalb der Gesellschaft. Gleichzeitig stellt die Gesellschaft eine Umwelt dar, denn außerhalb des Rechtssystems findet keine rechtsspezifische Kommunikation statt. D.h. das Verhältnis Recht/Gesellschaft ist nicht länger einstellig zu begreifen. Die Gesellschaft ist nicht einfach nur „die Umwelt“. Sie ist einerse...2020-02-1656 minLuhmaniacLuhmaniac12. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 050, K. 02Durch Kommunikation vollzieht ein soziales System seine Autopoiesis (Selbstreproduktion) und differenziert sich gegenüber der Umwelt aus. Verschiedene Operationstypen bilden dabei emergente Einheiten: Beobachtung und Selbstbeobachtung, Fremdreferenz und Selbstreferenz. Als Einheiten reduzieren diese Operationen Komplexität, indem sie aus den diversen Anschlussmöglichkeiten an Kommunikation jeweils eine selektieren. Der Reihe nach: Systeme vollziehen ihre Autopoiesis durch Operationen. In sozialen Systemen ist der Operationstypus Kommunikation. Durch Kommunikation wird Sinn situationsbezogen aktualisiert. Er wird verdichtet, bestätigt oder „vergessen“. Operationen setzen Strukturen voraus und erzeugen laufend neue. Ein System bestimmt seine Strukturen selbst – es gibt keine externe Strukturdetermination. Operationen können beobachtet werden. Die...2020-02-021h 24LuhmaniacLuhmaniac11. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S046 KO2Im Mittelpunkt des Abschnitts steht das Verhältnis zwischen Operation und Struktur in einem System. Dies leitet über zum Begriff der Beobachtung. Rechtsspezifische Kommunikation hat eine Doppelfunktion: Sie reproduziert das System und erhält seine Struktur. Dieser dynamische Prozess sichert die Stabilität des Systems. Es schwingt sich von Operation zu Operation, nutzt vorhandene Strukturen und modifiziert sie. Strukturveränderungen werden wiederum für die Autopoiesis (Selbstreproduktion) genutzt. Der Faktor Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle: Sinn kann nur in der Gegenwart konstituiert werden. Normen und Erwartungen müssen in der aktuellen Kommunikation zum Ausdruck gebracht werden, andernfalls droht Vergessen. Auf die...2020-01-191h 19LuhmaniacLuhmaniac10. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 042, K. 02Soziale Systeme sind operativ geschlossen, aber keineswegs isoliert: Sie stehen in kausalen Beziehungen zur Umwelt. Um zu verstehen, wie sie Strukturen bilden, muss der Prozess ihrer Autopoiesis beobachtet werden, denn alle Operationen sind darauf ausgerichtet. Zunächst: Wie unterscheiden sich Systemtheorien aus Physik und Informatik von der Theorie sozialer Systeme? Laut Entropiegesetz verlieren geschlossene Systeme ständig Energie und sterben den Wärmetod, d.h. sie lösen sich auf. Dieses physikalische Gesetz ist jedoch nicht auf soziale Systeme übertragbar, die durch Kommunikation operieren. In der Informatik beweisen Systemtheorien, dass ein operativ geschlossenes System seinen eigenen Output als Input verwenden kann...2020-01-021h 07LuhmaniacLuhmaniac09. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 38, K. 02Statt vom Begriff des positiven Rechts geht die Systemtheorie von der Leitunterscheidung zwischen System und Umwelt aus. Eine Analyse historischer Theoriediskussionen stellt klar, warum der Begriff „positives Recht“ nicht ausreichend ist, um eine Theorie des Rechts darauf aufzubauen. Der Text bezieht sich auf Theoretiker wie Jeremy Bentham, Ludwig Feuerbach, Gustav Hugo, Karl Marx, Herbert Hart und David Hume. Mithilfe der Systemtheorie will Luhmann das Problem der Positivität darum ganz neu erfassen: Seine Ausgangsunterscheidung ist die Differenz von System und Umwelt. Theorien wie die von Hart gingen außerdem von Strukturen aus. Luhmann will auf Operationen umstellen. Denn die Strukturen in ein...2019-12-011h 06LuhmaniacLuhmaniac08. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 33, K. 01Soziologische und linguistische Analysen des Rechts übertrugen ihre Theorien und empirische Methoden auf „das Recht“, ohne die entscheidende Vorfrage zu klären, was „das Recht“ überhaupt sei. Dies will Luhmann im folgenden Kapitel klären: Wie Recht innerhalb der Gesellschaft möglich ist. Seine Theorie setzt voraus, dass jedes System seine Einheit selbst produziert und reproduziert. Die Einheit wird niemals von der Umwelt erzeugt. Alle Systeme haben ein mehrdeutiges Verhältnis zueinander. Für das Recht ist die Gesellschaft Umwelt. Gleichzeitig finden die Operationen des Rechtssystems innerhalb der Gesellschaft statt. Das Rechtssystem vollzieht also Gesellschaft – aber wie geschieht das? Die Antwort lautet: I...2019-11-061h 16LuhmaniacLuhmaniac07. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 031, K. 01Adressat der Rechtssoziologie ist die Wissenschaft. Luhmann will ausschließlich beobachtbare Fakten beschreiben. Er vermeidet jede normative Wertung. Zum Begriff der Rechtsgeltung sagt er z.B. nicht, dass das Recht gelten soll, sondern nur, dass es entweder gilt oder nicht, je nach Situation. Die Geltung wird nur durch die Kommunikation hergestellt. Das Gesetz gilt, wenn erwartet wird, dass es gilt. Erst dann wird es zu einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung, zu einer Norm.2019-10-2651 minLuhmaniacLuhmaniac06. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 026 K. 01Luhmann beschreibt die Herausforderung, vor der er steht: Er will das Recht als autopoietisches System beschreiben. Durch begriffliche Unterscheidungen konstruierten Rechtstheorien verschiedene Gegenstände. Mal ging es um die Differenz von oben/unten, mal um Vernunft/Unvernunft, mal um Gewalt/Zivilisation oder den Gegensatz von nützlich/nutzlos/schädlich. Für eine Theorie des Rechts eignen sich diese Unterscheidungen nicht, weil sie nicht den Gegenstand konstruieren: das Recht. ...2019-10-261h 24LuhmaniacLuhmaniac05. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 23, K. 01Luhmann führt an die Theorie sozialer Systeme heran und verweist auf die Notwendigkeit des hohen Abstraktionsgrades. Weil begriffliche Unterscheidungen wie „Fortschritt“, „Zivilisation“, „Vernunft“ oder „Nutzen“ keine wissenschaftliche Theorie des Rechts ermöglichen, hat Luhmann eine neue Leitdifferenz eingeführt: die zwischen System und Umwelt. Die Differenz System/Umwelt stammt aus der Theorie sozialer Systeme, an die er nun heranführt. Wir haben es mit einem sozialen System zu tun, das über Kommunikation operiert. Soziale Systeme grenzen sich gegenüber ihrer Umwelt ab. Ihre Umwelt besteht aus anderen Funktionssystemen (z.B. Politik) und der Gesellschaft, deren Teil sie sind. ...2019-10-261h 45LuhmaniacLuhmaniac04. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 020, K. 01Luhmann zeigt, wie Rechtstheorien mit begrifflichen Unterscheidungen arbeiteten, ohne ihren Gegenstand zu bestimmen, und führt die Leitunterscheidung System/Umwelt ein. Wie begreift sich das Recht als Einheit? Bisherige Theorien arbeiteten mit der Vorstellung, es gäbe eine Hierarchie von Rechtstypen: Ewiges Recht (theologisch fundiert), Naturrecht (Hobbes, Gesellschaftsvertrag) oder positives, „menschgemachtes“ Recht. Sie stützten sich dogmatisch auf eine hierarchische Ständeordnung und konnten die Paradoxie nicht erklären, dass nicht für jede Schicht das gleiche Recht galt. ...2019-10-261h 15LuhmaniacLuhmaniac03. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 018 K. 01Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bisherigen Rechtstheorien kein theoriegenerierendes Prinzip zugrundeliegt, welches eine Reflexionstheorie ermöglichen würde. Rechtstheorien sind Selbstbeschreibungen des Rechtssystems, um konsistent entscheiden zu können: Gleiche Fälle sollen gleich, ungleiche Fälle ungleich beurteilt werden. Dabei handelt es sich um eine rechtsinterne Norm, mit der Gerechtigkeit hergestellt werden soll. ...2019-10-261h 15LuhmaniacLuhmaniac02. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 011, K. 01Luhmann klärt, welche wissenschaftlichen Ansprüche an eine Rechtstheorie gestellt werden müssen. Er skizziert, wie er mithilfe der Systemtheorie vorgehen will. Was ist eigentlich „das Recht“? Vor 50 Jahren (aus heutiger Sicht) gab es zwar Theorien, doch der Begriff des Rechts selbst war wissenschaftlich noch nicht bestimmt. Luhmann klärt darum die wissenschaftlichen Ansprüche, die an eine Rechtstheorie gestellt werden müssen. Zu diesem Zweck bringt er den Gegenstand seiner Betrachtung im Hegelschen Sinne „in den Stand“ und fragt: Sind die Grenzen des Rechts analytisch bestimmt – oder durch den Beobachter und das Objekt? ...2019-10-261h 28LuhmaniacLuhmaniac01. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 009, K. 01Niklas Luhmann präsentiert eine Theorie des Rechts, die auf seiner Systemtheorie beruht. Zu Beginn untersucht er vor, welche Theorien und Theorietypen die Gesellschaft bereitstellt, und wie sich seine Theorie von diesen unterscheiden wird. Wie ist die Ausgangslage? Luhmann geht in die Geschichte und fragt, welche Rechtstheorien vorhanden sind. Er stellt fest, woher sie stammen: aus dem Rechtsunterricht und aus der Rechtspraxis. In beiden Fällen handelt es sich um selbst erzeugte Theorien des Rechtssystems. Theorien, die aus der Rechtspraxis stammen, sind jedoch eher Nebenprodukte der Notwendigkeit, im Alltag zu Entscheidungen zu kommen. Methodik hat Vorrang vor theoretischen Aspekten. Z.B...2019-10-1956 min